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EU-Wahl als Anti-Macron-Votum

Von WZ-Korrespondentin Birgit Holzer

Politik

In Frankreich belegen Marine Le Pens Rechtspopulisten Platz eins vor der LREM-Bewegung des Präsidenten.


Paris. Als Nathalie Loiseau am Sonntagabend kurz vor acht auf die Ergebnisse blickt, bleibt sie tapfer. "Nach sechs Monaten sozialer Krise und einer Kampagne, in der unsere Bewegung zur Zielscheibe aller wurde, hat sie ihre Solidität bewiesen", versichert die 54-Jährige. Trotzdem räumt die Spitzenkandidatin der französischen Präsidentenpartei La République en marche (LREM) ein, dass das Ergebnis der Europawahlen eine Enttäuschung darstellt: Sie hat das selbst gesetzte Ziel verfehlt, bei der EU-Wahl die stärkste politische Kraft Frankreichs zu werden. Nach ersten Auszählungsergebnissen lag die Präsidentenpartei mit 22,1 Prozent hinter dem rechtsnationalen Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen, der 23,3 Prozent der Stimmen erreicht hat.

Loiseaus Kampagne war nie richtig in Gang gekommen. Es ist ihr Scheitern - aber vor allem das von Präsident Emmanuel Macron. Dieser hatte die EU-Wahlen zur Chefsache gemacht: Mit dramatischen Worten warnte er, Europa sei angesichts der wachsenden Stärke der Rechtsnationalisten "in Gefahr wie noch nie". Auch mischte er in der Kampagne mit, zu deren Beginn mit einem "Brief an die europäischen Bürger" und am Ende mit einem Interview in Lokalzeitungen.

Durch einen Erfolg erhoffte sich der Präsident, den die Widerstandsbewegung der "Gelbwesten" geschwächt hat, neuen Schwung für seine Reformvorhaben in Frankreich und seine europäischen Projekte. Doch die Rechtspopulistin Le Pen punktete mit ihrem Aufruf, die Abstimmung als Anti-Macron-Votum zu nutzen. Umso triumphierender trat RN-Spitzenkandidat Jordan Bardella am Sonntagabend vor seine Anhänger, die euphorisiert die Frankreich-Flagge schwenkten. Die historisch hohe Wahlbeteiligung von 52 Prozent sei ein "Aufbäumen des Volks gegen die Regierung, die einen echten Misserfolg erleidet", sagte der 23-Jährige, der sich im Wahlkampf als politisches Nachwuchstalent erwiesen hat, ohne Le Pen die Schau zu stehlen.

Die Partei-Chefin, die in der abgelaufenen Legislaturperiode EU-Abgeordnete war, hatte nur pro forma auf einem hinteren Listenplatz kandidiert. Aufgrund eines neueren Verbots der Ämterhäufung darf sie nur noch ein Mandat ausüben und Le Pen wollte ihren Sitz in der französischen Nationalversammlung bewahren.

Der Erfolg des RN ist aber nur ein relativer: Bei den EU-Wahlen 2014 erzielte Le Pen 25,4 Prozent, damals hieß ihre Bewegung noch Front National. In Frankreich, das nach dem Brexit 79 Sitze im EU-Parlament bekommt, waren insgesamt 34 Listen angetreten, doch nur wenige lagen über der Sperrklausel von fünf Prozent. Zu Überraschungen führten das gute Ergebnis der Grünen mit rund 13 Prozent und das schlechte Abschneiden der Republikaner mit 8,4 Prozent. Ins EU-Parlament werden außerdem Abgeordnete der radikalen Linke "La France Insoumise" ("Das widerspenstige Frankreich") sowie der Bewegung "Place publique" ("öffentlicher Platz") des Philosophen Raphaël Glucksmann einziehen, hinter der sich die Sozialisten eingereiht hatten. Beide erreichten 6,6 Prozent. Die diversen Vorkämpfer für einen EU-Austritt sowie die beiden Listen mit Vertretern der "Gelbwesten" erzielten dafür jeweils zu schwache Ergebnisse.