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Startschuss fürs Feilschen um EU-Topjobs

Von Martyna Czarnowska

Politik

Vor dem Sondergipfel zeichnet sich ein Machtgerangel zwischen EU-Parlament und Regierungen ab.


Brüssel/Wien. Die Euphorie war auch noch am nächsten Tag nicht völlig verflogen. Dass die Wahlbeteiligung am EU-Votum - bis auf Ausnahmen in wenigen Ländern - deutlich gestiegen war, freute vor allem Repräsentanten von EU-Institutionen. Von "Partystimmung" sprach etwa Jörg Wojahn, Leiter der Vertretung der EU-Kommission in Wien, bei einem Treffen mit Journalisten am Tag nach der europaweiten Abstimmung über das künftige EU-Parlament. Tatsächlich überschritt der Prozentsatz der Wähler die 50er-Marke: Erstmals seit zwanzig Jahren haben sich damit mehr Menschen zu den Urnen bemüht, als zu Hause geblieben sind.

Eine eindeutige Botschaft haben sie allerdings nicht abgegeben. Denn zum einen verloren die zwei bisher stärksten Fraktionen, die Christ- und die Sozialdemokraten, ihre gemeinsame Mehrheit im EU-Parlament und erhielten rechtspopulistische und nationalistische Parteien Stimmzugewinne. Zum anderen können sich aber ebenfalls grüne und liberale Gruppierungen über wachsenden Zuspruch freuen. Einen "Durchmarsch der Rechten", wie im Vorfeld des Votums von manchen prognostiziert, habe es jedenfalls nicht gegeben, betonen Experten - selbst wenn in Frankreich und Italien EU-skeptische und nationalistische Parteien stärkste Kraft wurden.

Auf der Suche nach Bündnissen

Sollten sich die Gruppierungen vom rechten politischen Rand im künftigen EU-Abgeordnetenhaus zu einer Fraktion zusammenfinden, könnten sie ein Fünftel der 751 Sitze auf sich vereinen. Doch damit können sie "Entscheidungen höchstens bremsen, aber nicht aufhalten", meint Paul Schmidt, Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik. Auch müsste eine solche Allianz, für die Italiens Innenminister und Lega-Vorsitzender Matteo Salvini wirbt, erst einmal zustande kommen. Denn die Meinungsunterschiede zwischen den Gruppierungen sind groß - ob beim Thema Budgetdisziplin oder der Russland-Politik.

Doch auch auf der anderen Seite des politischen Spektrums beginnt nun die Suche nach Bündnissen. Und das stellt Manfred Weber vor neue Herausforderungen. Als Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP), die die meisten Stimmen erhalten hat, stellt er den Anspruch auf den Posten des EU-Kommissionspräsidenten. Doch anders als der scheidende Amtsinhaber Jean-Claude Juncker nach der EU-Wahl 2014 braucht er nicht bloß die Unterstützung der Sozialdemokraten dafür.

Um für das Vorhaben eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus zu gewinnen, muss er auch um die Stimmen der Liberalen und Grünen werben. Die haben jedoch bereits angedeutet, dass Weber nicht automatisch mit ihrer Unterstützung rechnen kann. Außerdem haben auch die Sozialdemokraten selbst einen Spitzenkandidaten ins Rennen geschickt: Frans Timmermans ist ebenfalls angetreten, um Kommissionspräsident zu werden.

Den Posten könnte aber ebenso jemand von außerhalb der Volksvertretung übernehmen. Denn auch wenn das EU-Parlament die gesamte EU-Kommission bestätigen muss - über deren Leitung können die Mitgliedstaaten selbst bestimmen. Sie müssen das Spitzenkandidaten-Prinzip nämlich nicht befolgen und könnten sich, wie etliche Male zuvor, untereinander ausmachen, wer an die Spitze der Kommission gelangt.

Dies ist jedoch nur einer von mehreren Topjobs, die es in den kommenden Wochen und Monaten zu besetzen gilt. Auch die Präsidenten des EU-Rats und der Europäischen Zentralbank sowie der Außenbeauftragte der EU werden neu gekürt. Zu berücksichtigen sind dabei die Interessen der Länder, Regionen, Parteien - also das politische und geografische Gleichgewicht zwischen den EU-Institutionen.

Personalpaket zu schnüren

Eine erste Debatte über das Personalpaket werden die Staats- und Regierungschefs der EU am heutigen Dienstag bei einem Sondergipfel in Brüssel führen. Entscheidungen werden dabei noch nicht gefällt, vielmehr werden mehrere Varianten ausgelotet. Zuvor wollen einander die Fraktionschefs der Parlamentsgruppierungen treffen - auch sie möchten sich für die Verhandlungen mit den Regierungen in Stellung bringen.

Bei so manchem Land werden sie aber auf Widerspruch zum Spitzenkandidaten-Mechanismus stoßen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron etwa ist kein Freund des Prinzips. Vor der Zusammenkunft mit seinen Amtskollegen hat er bereits Gespräche mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie dem spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sanchez geführt. Weitere waren mit Kollegen aus osteuropäischen Staaten geplant.

Österreich hingegen hatte sich schon vor Monaten für das Spitzenkandidaten-System ausgesprochen: Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz war einer der prominenten Unterstützer des CSU-Politikers Weber. Doch Österreichs Position wird durch die Absetzung des Kabinetts in Wien und die Regierungskrise europapolitisch nun geschwächt sein. Das könnte nicht zuletzt Auswirkungen bei der Verteilung der Ressorts in der künftigen EU-Kommission haben. Diese soll ihr Amt Anfang November antreten.