Berlin/Wien. "Es ist Alarmstufe Rot." So fasste am Montag der Chef des CDU/CSU-Mittelstands, Carsten Linnemann, das Wahlergebnis der EU-Wahl in Deutschland zusammen. Denn: "Die Union ist dabei, den Status als Volkspartei zu verlieren."

Was Linnemann für seine Union konstatiert, gilt noch mehr für die zweite Partei, die den deutschen Staat jahrzehntelang getragen hat: die SPD. Denn während die Union mit 28,9 Prozent der Stimmen zwar große Verluste hinnehmen musste, aber immerhin noch stärkste Kraft in Deutschland blieb, rutschte die SPD auf 15,8 Prozent und den dritten Rang ab. Für die Union war das Ergebnis eine große Enttäuschung, für die SPD war es ein Desaster.

Zum Triumph wurde das Votum für die Grünen: Mit 20,5 Prozent konnten sie ihr Ergebnis fast verdoppeln und landeten am zweiten Platz. Sie haben vor allem bei den Jungwählern abgeräumt: Einer Wahlanalyse der Forschungsgruppe Wahlen zufolge erhielt die einstige Protestbewegung bei den Wählern zwischen 18 und 29 Jahren rund 31 Prozent der Stimmen und damit mehr als Union (14 Prozent) und SPD (9 Prozent) zusammen. Schwarz und Rot zehren hingegen von den Resten ihrer Tradition: Nur bei den über 60-Jährigen belegten sie wie in alten Zeiten noch Platz eins (Union) und zwei (SPD).

Die Traditionsparteien suchen nun eine Antwort darauf, wie sie der grünen Herausforderung begegnen sollen. Die Debatten am Montag machten bereits deutlich, dass dies bei beiden Gruppierungen nicht ohne inhaltliche, und vielleicht auch personellen Verwerfungen vonstattengehen wird. Und dass diese Europawahl auf lange Sicht gar ihre Koalition im Bund gefährden könnte.

Vor allem in der SPD rumort es gewaltig. Sie war nie begeistert davon, Juniorpartner der Union zu sein, und begründet ihre Regierungsbeteiligung mit staatspolitischer Verantwortung. Doch bei den Wählern hat ihr das wenig Dankbarkeit eingetragen, die Europawahl ist der harte Aufprall nach einem langen Sturzflug.

Die Parteilinke sieht nun ihre Zeit gekommen: Deutsche Medien zitierten aus einem Positionspapier von Parteivize Ralf Stegner, Juso-Chef Kevin Kühnert und Matthias Miersch, dem Chef der Parlamentarischen Linken. Sie fordern eine klare Linie, die sich in der Verabschiedung eines Klimaschutzgesetzes, sowie der Durchsetzung der Grundrente und des Einwanderungsgesetzes niederschlagen soll.

SPD geht in die Offensive

Vor allem beim Klimathema zeigt die SPD der Union bereits am Montag die Zähne. Umweltministerin Svenja Schulze hat ihren Klimagesetz-Entwurf, mit dem die Klimaziele für 2030 erreicht werden sollen, gegen den Willen des Kanzleramts zur Abstimmung an die anderen Ressorts geschickt. "Jetzt ist es Zeit, den nächsten Schritt zu gehen", sagte die SPD-Politikerin und betonte, dass sie "nicht länger auf die Befindlichkeiten in der Union Rücksicht nehmen" könne.