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Links und migrationskritisch

Von Alexander Dworzak

Politik

Dänemarks Sozialdemokraten stehen vor der Rückkehr an die Macht - auch, weil sie eine strikte Asylpolitik verfolgen.


Kopenhagen/Wien. Rechtspopulismus galt in Nordeuropa lange Zeit als unbekanntes Phänomen. Als die FPÖ hierzulande 27 Prozent bei der Nationalratswahl 1999 erreichte, waren die Schwedendemokraten und die "Wahren Finnen" Randerscheinungen mit weniger als zwei Prozent Zuspruch. Die Dänische Volkspartei (DF) kam jedoch bereits 2001 auf 12 Prozent. FPÖ und DF wurden zur rechten Avantgarde, denn sie reagierten schnell auf die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbrüche im Zeitalter der Globalisierung. Sie spürten damit verbundene Unsicherheiten auf, sprachen existierende Probleme in Migrationsfragen an und gaben dabei Ressentiments Raum.

Ihren Höhepunkt erreichte die DF bei der Parlamentswahl 2015 mit 21 Prozent. Nun droht der Absturz. Bei der Wahl am Mittwoch könnte die Partei fast die Hälfte der Stimmen verlieren. Mit 27 Prozent liegen die Sozialdemokraten unter Mette Frederiksen zehn Prozentpunkte vor der rechtsliberalen Venstre von Premier Lars Lökke Rasmussen. Bereits die EU-Wahl vergangene Woche geriet für die DF zum Desaster, sie büßte fast elf Prozentpunkte ein.

Vom Rand ins Zentrumdes Meinungsspektrums

Die DF wird Opfer ihres eigenen Erfolges. Von 2001 bis 2011 und wieder seit 2015 ließ sich Venstres Mitte-rechts-Allianz von der Dänischen Volkspartei tolerieren. Im Gegenzug setzte die DF striktere Regeln bei Asyl und Integration durch. In der aktuellen Legislaturperiode wurde die Unterstützung für Asylwerber halbiert, Familienzusammenführungen wurden erschwert. Selbst auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, 2015, wurden in Dänemark vergleichsweise geringe 21.000 Asylanträge gestellt, verglichen mit 88.000 in Österreich. Im vergangenen Jahr waren es gar nur 3500 Anträge (Österreich: 13.700).

Minutiös listet das Ministerium für Ausländer und Integration jede Verschärfung, auf der Webseite prangt ein großer Zähler. Als Nummer 50 erreicht war, posierte Venstre-Ressortchefin Inger Stöjberg zur Feier mit einer Torte. Derzeit hält der Zähler bei 114.

Das Ziel, Asylanträge in Dänemark so unattraktiv wie möglich zu machen, tragen die Sozialdemokraten mit. Bereits im Wahlkampf 2015 plakatierten sie: "Striktere Asylregeln und mehr Verpflichtungen für Migranten." Unter Mette Frederiksen hat die Partei den Kurs verschärft. Sie hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: "Frederiksen will damit Vorreiterin der europäischen Linken werden", sagt Jens Ringberg vom Dänischen Rundfunk.

Die 41-Jährige fordert, "Dänemark muss die Kontrolle zurückgewinnen". Sie schlägt - schwer mit dem Völkerrecht vereinbar - vor, dass Asylwerber ihre Anträge nur noch in Zentren außerhalb Europas einbringen dürfen und gleich dort bleiben sollen. Dafür würde sich Dänemark an Verteilungsquoten des UN-Flüchtlingshilfswerks beteiligen und diese Personen im Land aufnehmen; 5000 pro Jahr sind im Gespräch.

Frederiksen möchte in die Entwicklungszusammenarbeit investieren, um Migration einzudämmen. Und sie will mehr für die Integration der bereits Angekommenen ausgeben.

"Leider sind zu viele Menschen nach Dänemark gekommen, ohne ein Teil Dänemarks zu werden", meint Frederiksen. Ab den 1960ern kamen "Gastarbeiter" ins Land. Von 5,7 Millionen Einwohnern haben mittlerweile 770.000 Migrationshintergrund, die Mehrheit davon "nicht-westlichen". Die in Dänemark verwendete Umschreibung steht für Personen aus der Türkei, Syrien und dem Irak - allesamt keine Hochburgen einer liberalen Auslegung des Islams. Wie auch in anderen europäischen Staaten entwickelten sich Parallelgesellschaften.

Wohlfahrtstaat als demokratischer Nationalismus

Frederiksen kritisiert nicht den Islam direkt, stellt aber klar: "Religion ist der Demokratie immer untergeordnet." Auch für die neuen Dänen müsse die Gleichstellung der Geschlechter gelten.

Zum schwierigen Verhältnis mit "nicht-westlichen" Bürgern und Ländern gehören die Konsequenzen der "Mohammed-Karikaturen". Monate nach deren Veröffentlichung in der Zeitung "Jyllands-Posten" brach 2006 ein Proteststurm los, unter anderem wurde die dänische Botschaft in Syrien in Brand gesteckt. Ein Autor, der die Zeichnungen verteidigt hatte, überlebte 2013 einen Attentatsversuch. Zwei Jahre später sollte ein Karikaturist in Kopenhagen ermordet werden. Der Angriff schlug fehl, ein Mann kam jedoch ums Leben.

Zwar gibt es in Dänemark unzählige Erfolgsbiografien muslimischer Einwanderer. Bei vielen Migranten blieb der Aufstieg aber aus. Gerade in der egalitär organisierten Gesellschaft wird das zum Problem. Analog zum schwedischen "Volksheim" entwickelte die dänische Sozialdemokratie 1934 ihr Programm "Dänemark für das Volk". In beiden Fällen wurden Sozialrechte zu Bürgerrechten erhoben.

Dieses zivilgesellschaftliche Modell eines demokratischen Nationalismus aus der Zwischenkriegszeit - auch als Gegengewicht zum Aufstieg des Nationalsozialismus - luden Schwedendemokraten und DF ethnisch auf. "Die Dänische Volkspartei erklärte sich zu den wahren Sozialdemokraten und einzigen Bewahrern des Wohlfahrtstaates", sagt Susi Meret, assoziierte Professorin an der Universität Aalborg, zur "Wiener Zeitung". Mit ihrer strikten Migrationspolitik versuchen die Sozialdemokraten, diese Erzählung zurückzugewinnen.

Zweiter Baustein dieser Strategie ist, mehr für den Wohlfahrtsstaat auszugeben, den die Dänen im Ausgleich für die hohe Steuerlast hochhalten. Doch während Kopenhagen boomt, veröden ganze Landstriche. Die Gesundheitsversorgung an der Peripherie ist schlecht, in Kindergärten gibt es zu wenige Pädagogen. Die Rechtsliberalen entgegneten in der Vergangenheit stets, wenn man bei den Asylwerbern spart, bleibt mehr für das Sozialsystem übrig. Irgendwann stoßen aber auch die Sparmöglichkeiten im Asylsektor an Grenzen.

Neben den "nicht-westlichen" Einwanderern stehen Migranten aus dem Osten der EU in der Kritik, wenn auch in geringerem Ausmaß. Zwar war Dänemark nach der EU-Erweiterung ab 2004 neben Österreich und Deutschland das einzige Unionsland, in dem die siebenjährigen Übergangsbestimmungen zum Schutz des Arbeitsmarktes voll ausgeschöpft wurden. Lohndumping sorgt jedoch für Unmut. Berichte machen die Runde über ausgebeutete philippinische Lkw-Fahrer, die für osteuropäische Speditionen arbeiten und nicht den dänischen Tarifen unterliegen.

Auch Sozialhilfe soll missbraucht worden sein. "Die Regierung verlangt daher die Indexierung der Familienbeihilfe - und auch die Sozialdemokraten", so Jens Ringberg zur "Wiener Zeitung". Eine Anti-EU-Stimmung habe sich aber nicht entwickelt, sagt der Analyst des Dänischen Rundfunks. Er referierte anlässlich einer Veranstaltung des Forums Journalismus und Medien im Haus der EU.

Koranverbrenner vor Einzugins Parlament

Linke Aktivisten und Intellektuelle kritisieren an der Migrationspolitik der Mitte-rechts-Regierung insbesondere die dänische Abschiebepraxis. Familien und ihre Kinder lebten unter prekären Bedingungen, der Nachwuchs dürfe nicht die Schule besuchen, schildert Susi Meret. Nicht einmal Mahlzeiten dürften sich die Bewohner selber kochen. Und zur Überwachung sei die Gefängnispolizei abgestellt.

Dass die Asylpolitik der DF von den großen Parteien links und rechts der Mitte übernommen wurde, hat zwar zu einem Grundkonsens geführt, dank dem Migration nicht mehr das alles überschattende Thema ist. Im Wahlkampf geben die Bürger den Klimawandel als wichtigstes Feld an. Da die Dänische Volkspartei nun den Mainstream vertritt, etablieren sich rechts von ihr neue Gruppierungen. Die "Neuen Konservativen" wollen gar keine Asylwerber. "Strammer Kurs" möchte den Islam in Dänemark verbieten und die Muslime ausweisen. Dessen Anführer, Rasmus Paludan, zielt auf größtmögliche Provokation ab. Er zündete dutzendfach den Koran in Migrantenvierteln an und stellte die Videos online.

Paludan hat gute Chancen, die Zwei-Prozent-Hürde für den Einzug in das Parlament zu meistern. Mette Frederiksen kann dann den Genossen in Europa zeigen, dass sie neben Populisten auch Extremisten zu zähmen vermag.