Berlin. Die deutsche SPD wird nach dem Rücktritt von Parteichefin Andrea Nahles zunächst kommissarisch von einem Trio geführt werden. Die engere Parteiführung entschied sich dabei am Montag für die Ministerpräsidentinnen der Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz, Manuela Schwesig und Malu Dreyer, sowie den hessischen SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel. Sie sollen sich den Parteivorsitz aufteilen, die Fraktion wird übergangsweise bereits vom dienstältesten Vize Rolf Mützenich geführt.

Die drei neuen Parteichefs wollen in der Folge aber nicht für den Parteivorsitz kandidieren, sagten sie am Montag. den Übergangsprozess nach dem Rücktritt von Nahles gestalten.

Diese hatte am Montag, wie angekündigt, ihr Amt zurückgelegt. "Ich habe mich gerade eben im Parteivorstand der SPD verabschiedet. Ich bin zurückgetreten", sagte Nahles beim Verlassen der SPD-Zentrale am Vormittag

Nahles hatte ihren Rückzug nach nur 13 Monaten an der Parteispitze bereits am Sonntagmorgen in einem kurzen Schreiben an die Parteimitglieder begründet. "Die Diskussion in der Fraktion und die vielen Rückmeldungen aus der Partei haben mir gezeigt, dass der zur Ausübung meiner Ämter notwendige Rückhalt nicht mehr da ist", schrieb sie. Nahles wird auch ihr Bundestagsmandat niederlegen und sich damit komplett aus der Bundespolitik zurückziehen.

Die Turbulenzen in der SPD gefährden auch die große Koaltion in Deutschland. Die SPD war nie begeistert davon, Juniorpartner der Union zu sein, und begründet ihre Regierungsbeteiligung mit staatspolitischer Verantwortung. Doch bei den Wählern hat ihr das wenig Dankbarkeit eingetragen, die Europawahl, bei der sie lediglich 15 Prozent der Stimmen bekam, war der harte Aufprall nach einem langen Sturzflug.

Nahles war immer eine Garantin für den Fortbestand der großen Koaltion,  weshalb die Union ihr auch nachtrauert. Auch von dem Trio, das nun an der Spitze steht, ist vorerst eine Fortsetzung der Koaltion zu erwarten. Doch insgesamt werden in den nächsten Tagen die Karten in der SPD neu gemischt. Vor allem die Parteilinke rund um den Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert hat immer wieder gegen die große Koaltion polemisiert und hat nun die Chance, mehr Einfluss innerhalb der Sozialdemokratie zu gewinnen. Ihr weiteres Vorgehen will die Partei auf der nächsten Vorstandssitzung am 24. Juni beschließen.

Union für Fortführung der GroKo

Die CDU-Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer, die nach dem historisch schlechten Ergebnis ihrer Partei bei der Europawahl (lediglich 28,9 Prozent der Stimmen) selbst angeschlagen ist, hat den Koalitionspartner SPD vor einem leichtfertigen Bruch der Großen Koalition gewarnt. Angesichts der internationalen Herausforderungen wäre es "alles andere als förderlich, wenn das Land jetzt in eine Regierungskrise oder in einen Dauerwahlkampf gehen würde", sagte die CDU-Chefin zum Abschluss der Vorstandsklausur am Montag in Berlin. "Es gibt gute Gründe dafür, nicht leichtfertig eine Regierung zu beenden." Die CDU sei aber auch für einen solchen Fall vorbereitet.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte zuvor versichert: "Wir werden die Regierungsarbeit fortsetzen mit aller Ernsthaftigkeit und vor allen Dingen auch mit großem Verantwortungsbewusstsein."

Allerings wurden auch sofort wieder Streitigkeiten laut: Die SPD besteht, anders als im Koalitionsvetrag vereinbart, auf einer Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung. Merkel lehnte dies am Montag erneut ab. Die Union wiederum will über die im Koalitionsvertrag hinausgehende 90-prozentige Abschaffung des Soli hinausgehen, was die SPD ablehnt.

Grüne stehen nicht zur Verfügung

Die Grünen, die bei der Europawahl ein Rekordergebnis von 20,5 Prozent einfuhren, sprachen sich bereits für Neuwahlen aus, falls die große Koalition platzen sollte. "Was für mich, was für uns alle Grünen klar ist, dass wir nicht das Reserverad sind, was einfach so einspringt", sagte die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock im ZDF. "Wenn diese Bundesregierung keine Kraft mehr hat, dann muss die Gesellschaft, dann müssen die Bürgerinnen dieses Landes neu entscheiden, weil das ganze Personal, die ganzen Themen, die sind ganz anders zweieinhalb Jahre nach der letzten Bundestagswahl." Nach einer Forsa-Umfrage liegen die Grünen gut eine Woche nach der Europawahl erstmals vor der Union, bei Emnid rangiert die Oppositionspartei allerdings noch deutlich hinter CDU und CSU.

Linke und AfD forderten bereits zuvor eine Neuwahl des Bundestags. "Die ehemals Große Koalition bewegt sich im Chaos", sagte Linksfraktionschef Dietmar Bartsch im ZDF. "Ich glaube, eine faire Lösung wäre jetzt, die Wählerinnen und Wähler zu befragen." Auch AfD-Partei- und Fraktionschef Alexander Gauland sagte: "Wir wollen Neuwahlen haben." (klh, reuters, apa, dpa)