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Deutsch-französische Verzwergung

Von Alexander Dworzak

Politik

Nicht nur SPD-Chefin Andrea Nahles, auch Laurent Wauquiez von Frankreichs konservativen Republikanern tritt zurück. In den beiden größten EU-Ländern gibt es nur noch eine Volkspartei.


Paris/Berlin/Wien. 15,8 Prozent bei der EU-Wahl waren zu wenig für die deutsche SPD, damit sich Andrea Nahles als Parteivorsitzende hält. Über ein derartiges Ergebnis hätte Laurent Wauquiez jubiliert. Doch dessen Republikaner (LR) schafften in Frankreich lediglich Platz vier und 8,5 Prozent. Bei der Wahl 2014 waren es noch 20 Prozent. Wie Nahles legte Wauquiez zwischenzeitlich den Parteivorsitz nieder. Er ziehe damit die Konsequenz aus dem Minusrekord, sagte der 44-Jährige.

Das Mitte-rechts-Lager in Frankreich gleicht einem Trümmerfeld. Im EU-Wahlkampf wurde es zwischen Marine Le Pens Rassemblement National und der Bewegung von Präsident Emmanuel Macron zerrieben. Dass Wauquiez mit EU-Kritik Anhänger von Le Pen zurückgewinnen wollte, trieb einen Teil der Stammwähler in die Arme des glühenden Europäers Macron. Nun zieht LR mit nur acht Mandataren in das Europäische Parlament ein - und stellt damit in der christkonservativen EVP-Fraktion lediglich einen Abgeordneten mehr als die ÖVP.

Im Gleichklang mit LR vollzieht sich der Niedergang der französischen Sozialisten. Bis vor zwei Jahren amtierte einer der ihren, Francois Hollande, als Präsident. Zwar war er der unbeliebteste Amtsinhaber im Elysee in der Geschichte der Fünften Republik. Die Rasanz der linken Verzwergung ist ein Alarmsignal für alteingesessene, aber krisengeplagte Parteien in ganz Europa.

Glucksmanns kurzer Zauber

Bei der EU-Wahl traten die Sozialisten als Teil eines Dreierbündnisses an. Dennoch erreichten sie nur noch 6,2 Prozent (minus 10,7 Prozentpunkte) und den sechsten Platz. Besser schnitten im Mitte-links-Spektrum die Grünen und die populistische La France insoumise ab.

Die Niederlage ist auch ein herber Rückschlag für den Listenersten der Dreierallianz, Raphael Glucksmann. Der Sohn des Starphilosophen Andre Glucksmann galt im vergangenen Herbst als neuer Star der Linken. Denn in seinem Buch "Die Politik sind wir!" nahm er Forderungen der Gelbwesten-Bewegung vorweg. Auch gegen Technokraten und Lobbyisten in Brüssel wetterte er in seinem Buch, bot aber keine Ideen an, wie die Union gemeinsam alle Europäer betreffende Herausforderungen lösen kann, etwa den Klimawandel.

Mit dem Niedergang von SPD, LR und Sozialisten bleibt in den beiden bevölkerungs- und wirtschaftsstärksten EU-Ländern nur die deutsche Union aus CDU und CSU übrig, die den Namen Volkspartei verdient; auch wenn knapp 29 Prozent bei der Europawahl ein historisches Tief bedeutet.

CDU/CSU haben aufgrund der Schwäche von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer kein Interesse, dass die SPD die Flucht nach vorne ergreift und die Koalition in Berlin aufkündigt. Betont wird daher die geleistete Sacharbeit: "Diese große Koalition ist besser als ihr Ruf", sagte Michael Grosse-Brömer, parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion.

Kritik mit Beckenbauer-Zitat

Das sieht der Bund Deutscher Industrie (BDI) anders. Dessen Präsident Dieter Kempf kritisierte das mutlose Abarbeiten kleinteiliger Sozialpolitik und ein ungesundes Maß an Umverteilung. In Anlehnung an den "bayerischen Fußballphilosophen" Franz Beckenbauer konstatierte Kemp eine Haltung nach dem Motto "Schau’ mer mal, dann seh’ mer scho". Kanzlerin Angela Merkel, unter den Zuhörern bei der BDI-Tagung, konterte: "Es gab Zeiten, da war er ziemlich erfolgreich mit seiner Herangehensweise für Deutschland." Sie verwies darauf, wie viel Zeit ihr der Vertrauensverlust der deutschen Autoindustrie infolge des Abgasskandals gekostet habe.

In einem Punkt stimmt aber BDI-Präsident Kempf mit Merkel überein: "Wir fordern, dass die Koalitionsparteien den Regierungsauftrag, den sie übernommen haben, auch konsequent zu Ende führen", sagt Kempf. Auch SPD-Vize Ralf Stegner vom linken Parteiflügel rät vom schwarz-roten Ende ab. Und der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier - ein Sozialdemokrat - deponiert, dass er die Regierung nicht aus ihrer Verantwortung entlassen möchte.

Die SPD muss nun parallel zur Regierungsarbeit einen neuen Vorsitz finden. Ex-Parteichefin Andrea Nahles trat am Dienstag auch von der Spitze der Bundestagsfraktion zurück.

Eine Doppelspitze?

Auf die erste Frau als Vorsitzende könnte erstmals ein Duo folgen. Der Chef des einflussreichen Landesverbandes Nordrhein-Westfalen sieht darin einen "geeigneten Weg". Diskutiert wird auch über die Einbindung der 440.000 Mitglieder. Über Personalhoheit verfügen sie aber nicht, laut Statuten dient ein Votum lediglich als Empfehlung für den Parteitag. Das Regelwerk müsste geändert werden, so auch für eine Doppelspitze. Am 24. Juni will der Parteivorstand das weitere Vorgehen festlegen, um die Verzwergung der SPD aufzuhalten.