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Selenskyj holt sich Unterstützung bei Nato und EU

Von Gerhard Lechner

Politik

Der neue ukrainische Präsident absolviert seine Antrittsvisite in Brüssel - Selenskyj fordert von der EU mehr Druck auf Moskau.


Brüssel. Wolodymyr Selenskyj ist politisch noch ein ziemlich unbeschriebenes Blatt. Kein Wunder, dass der haushohe Sieg des Schauspielers bei den ukrainischen Präsidentenwahlen im April in Europas Hauptstädten auch kritisch beäugt wurde. Der Komiker, der in seiner TV-Serie bereits den ukrainischen Präsidenten gespielt hat, sei ein Populist, hieß es. Die hemdsärmelige Art, mit der Selenskyj als Fernsehpräsident durchgriff, ließ - zumindest hinter vorgehaltener Hand - Schlimmes befürchten. Der Umstand, dass er als TV-Präsident Vertretern des Internationalen Währungsfonds Fäkalausdrücke entgegenschleuderte, irritierte ebenso wie Selenskyjs für ukrainische Verhältnisse eher mildes Auftreten gegenüber Russland.

Bislang haben sich die Befürchtungen der Selenskyj-Skeptiker jedoch nicht bewahrheitet. Die ersten Kontakte mit westlichen Vertretern in Kiew verliefen vielversprechend. So zeigte sich Deutschlands Außenminister Heiko Maas von der Atmosphäre des "außerordentlich guten Gesprächs", das er mit Selenskyj geführt hatte, beeindruckt. Maas sah eine Hoffnung, dass unter der Präsidentschaft Selenskyjs der Minsker Prozess, der der Ostukraine den lang ersehnten Frieden bringen soll, wiederbelebt werden könnte: Man müsse jetzt "die Gunst der Stunde nützen, ließ er Ende Mai verlauten.

Am Dienstag reiste Selenskyj nach Brüssel, um dort die Spitzen von EU und Nato zu treffen. Der zweitägige Besuch in Brüssel ist die erste Auslandsreise des 41-Jährigen. Auf dem Programm standen am Dienstag Gespräche mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Für Mittwoch ist ein Treffen mit EU-Ratspräsident Donald Tusk geplant. Thema der Beratungen waren der Kampf gegen die Korruption und die Umsetzung von Reformen, die sich Selenskyj besonders auf die Fahnen geheftet hat, und der Konflikt in der Ostukraine.

Das Treffen mit Juncker fand in betont amikaler Atmosphäre statt. "Ich habe einen neuen Freund", sagte der EU-Kommissionspräsident, der zu Selenskyjs Amtsvorgänger Petro Poroschenko auch einen guten Draht hatte, in Richtung des Polit-Neulings. "Ein neuer Freund ist besser als ein alter", replizierte Selenskyj. Von der EU forderte er mehr Druck auf Russland. Appelle an Moskau allein reichten nicht aus, um den Konflikt in der Ostukraine zu beenden, erklärte der seit Mai amtierende Präsident. Er wolle seinen EU-Gesprächspartnern die Frage stellen, "wie wir zusammen Druck auf den Aggressor ausüben können" und wie Russland "zum Frieden gezwungen" werden könne. Selenskyj verwies auf Facebook darauf, dass seit 2014 im Donbass 147 Kinder und Jugendliche getötet worden seien.

Kutschma leitet Minsk-Delegation

Eine kleine Geste hat Selenskyj am Montag bereits gesetzt, indem er Ex-Präsident Leonid Kutschma zum Leiter der ukrainischen Delegation in der Minsk-Gruppe bestellte. Genutzt hat die Bestellung des einst auch in der russischsprachigen Ostukraine verankerten Politikers einstweilen nicht viel: Das Außenministerium der selbsternannten Lugansker Volksrepublik erklärte, Kutschmas Bestellung werde zur Schlichtung im Donbass nichts beitragen.