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Klima sticht Migration

Von Alexander Dworzak

Politik

Die Mitte-rechts-Regierung Dänemarks ist abgewählt worden. Beim wichtig gewordenen Klimaschutzthema ist der Mehrheitsbeschaffer, die Dänische Volkspartei, im Hintertreffen. Die Sozialdemokraten gehen als Sieger hervor.


Kopenhagen/Wien. Mikkel Brix ist nicht annähernd so bekannt wie Greta Thunberg. Keine 700 Personen folgen seinem Profil beim Bilderdienst Instagram. Doch auch den 19-jährigen Dänen treibt die Sorge um den Klimawandel an. "Ich will, dass die Politiker in Dänemark aufwachen und endlich etwas für das Klima tun. Was wir brauchen, ist ein wirkliches Handeln." Anfang Mai ist er deswegen in den Hungerstreik getreten, den Brix bis zur Parlamentswahl am Mittwoch durchgezogen hat.

Mit dem Wahlergebnis dürfte Mikkel Brix zufrieden sein. Laut den ersten Exit-Polls sind die dänischen Sozialdemokraten bei den Wahlen wohl als stärkste Kraft hervorgegangen. Die Partei um ihre Vorsitzende Mette Frederiksen kam in der 20-Uhr-Prognose des dänischen Rundfunks DR auf 25,3 Prozent. Damit lag sie zunächst 4,4 Prozentpunkte vor der liberalen Venstre-Partei von Regierungschef Lars Lökke Rasmussen. Die rechtspopulistische Dänische Volkspartei muss demnach heftige Verluste hinnehmen: Sie kommt nach den auf Nachwahlbefragungen basierenden Zahlen auf nur 9,8 Prozent - nach 21,1 Prozent bei der vorherigen Parlamentswahl 2015.

Der Absturz spiegelt die veränderten Prioritäten der Wähler wider: Über Jahre waren Migration und Integration die wichtigsten Themen in Dänemark. Nun rangieren sie nur noch an vierter Stelle, der DF brechen damit ihre Domänen weg. Dafür steht der Klimawandel an der Spitze, die Achillesferse der rechtspopulistischen Partei.

Das Wahldebakel der DF bedeutet wohl auch das Ende für Premier Lars Lökke Rasmussen und seine Mitte-rechts-Minderheitsregierung. Dessen rechtsliberale Venstre - zusammen mit der der Liberalen Allianz und der Konservativen Volkspartei - ließ sich von der DF tolerieren, im Gegenzug für strikte Migrationspolitik. Nun dreht der Mitte-links-Block mit Mette Frederiksens Sozialdemokraten an der Spitze die Mehrheitsverhältnisse im 179-köpfigen Parlament, das Folketing, um.

Kein Erdrutschsieg erwartet

Mit ihrem migrationskritischen Kurs wird Sozialdemokratin Frederiksen Wähler von der DF zurückgewinnen, aber an Parteien links von ihr verlieren. In dem "roten Block", der fünf Parteien umfasst, wird sich die Sozialistische Volkspartei auf bis zu neun Prozent verdoppeln können. Sie punktete bereits bei der EU-Wahl mit dem Klimathema.

Als zweiter großer Gewinner werden die Sozialliberalen gesehen. Deren wichtigste Politikerin amtiert gar nicht in Dänemark, sondern in Brüssel: die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. Dass die 51-Jährige sogar als neue Kommissionspräsidentin im Gespräch ist, hat der Partei zusätzlichen Schwung verliehen.

Umgekehrt bleibt die DF im Tief, bereits bei der Europawahl im Mai verlor sie elf Prozentpunkte. Die ehemalige Parteivorsitzende Pia Kjärsgaard, nun Parlamentspräsidentin, machte dafür "Klimawahnsinnige" verantwortlich. Die DF stehe dem menschengemachten Klimawandel skeptisch gegenüber, befindet die parteiunabhängige Denkfabrik Adelphi. Sie zitiert DF-Politiker Mikkel Dencker, der 2018 sagte: "Die Frage, ob der Klimawandel menschengemacht ist, ist eine Frage des Glaubens - und Glaube gehört in die Kirche."

CO2-Ausstoß deutlich reduziert

Adelphi reiht in seine Analyse der Klimapolitik von 21 rechtspopulistischen Parteien in EU-Ländern die DF in der Kategorie der Skeptiker beziehungsweise Leugner gemeinsam mit der deutschen AfD, der UK Independence Party, den Schwedendemokraten, der niederländischen PVV, der Konservativen Volkspartei aus Estland - und der FPÖ.

Die dänischen Bürger stehen indes noch unter dem Eindruck des Rekordsommers 2018. Während die Einwohner Kopenhagens ins Hafenbecken sprangen, verdorrten in den ungewöhnlich trockenen Monaten Weihnachtsbäume - ein wichtiger Exportartikel. "Rund 2,5 Millionen kleiner Weihnachtsbäume sind einfach vertrocknet, von den 15 Millionen, die wir in einem Jahr angepflanzt hatten", sagte Forstpathologin Iben Margrete Thomsen von der Universität Kopenhagen. Das Baumsterben zwingt die Waldbesitzer dazu, robustere Arten zu pflanzen.

Umdenken aufgrund des Klimawandels ist in Dänemark allerdings nicht neu. Seit 1990 wurde der CO2-Ausstoß um rund 28 Prozent verringert, in Österreich waren es hingegen 1,2 Prozent plus. Auch zahlen die Dänen eine Steuer für Kohlendioxid aus fossilen Energieträgern wie Kohle und Erdöl. Der Neueinbau von Öl- und Gasheizungen ist nicht erlaubt. Bis 2030 will man den gesamten Strombedarf aus erneubaren Energien decken.