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Der Punkt ohne Wiederkehr

Von WZ-Korrespondentin Maren Häußermann

Politik

Die Verhandlungstage im Katalonien-Prozess gehen diese Woche zu Ende. Auf das Urteil muss man noch warten. Proteste sind sicher: Das Land ist gespalten wie eh und je. Spaniens neue Regierung erwartet ein Drahtseilakt.


Madrid. Auf weinroten Samtpolstern sitzen sie in grauen Anzügen, während ihnen der Prozess gemacht wird. Die spanische Nationalflagge hängt hinter dem Richter, der mit ernstem Gesicht über seinen Brillenrand auf die Angeklagten blickt, hier in Madrid, im Inneren des Obersten Gerichtshofs.

Am Dienstag, den 11. Juni endet voraussichtlich der seit Februar andauernde Prozess gegen zwölf katalanischen Separatisten. Ein Urteil gibt es erst später. Dabei handelt es sich um einen Höhepunkt im Konflikt zwischen zwei Seiten: Für die Verfechter der spanischen Einheit bedeutet der Prozess eine Durchsetzung des nationalen Interesses und ein Exempel für den Umgang mit lästigen Separatistenbewegungen. Für die Befürworter einer katalanischen Unabhängigkeit bedeutet das Vorgehen der spanischen Justiz einen Angriff auf die Menschenrechte.

Das lange Schwelen des eskalierten Konfliktes

Im März dieses Jahres marschierten zehntausende Katalanen in Madrid auf, entlang der Prachtstraße Paseo de Prado. Die Stimmung ist eine Mischung aus Revolution und Volksfest. Bierverkäufer drängeln sich durch die Menge, rot-gelb gestreifte Katalonienflaggen hängen als Capes am Rücken. Mit gelben Schleifen zeigen sie die Demonstranten ihre Unterstützung für ihre Landsleute, die seit Monaten in Untersuchungshaft sitzen.

Eine kleine Gruppe Menschen steht schweigend mit einer langen Spanienflagge in der Parallelstraße vor dem zentralen Stadtpark Retiro. An zahlreichen Balkonen in der Hauptstadt hängen spanische Nationalflaggen. Der Konflikt mit Katalonien schwelt vor sich hin. Am Fall der Jordis zeigt sich das besonders gut.

"Die Jordis", das sind die Aktivisten Jordi Cuixart und Jordi Sànchez die in die Unabhängigkeitsbestrebungen im Herbst 2017 verwickelt waren und denen deshalb nun bis zu 17 Jahre Haft drohen.

Damals, am 20. September 2017, war Jordi Cuixart Chef einer Organisation zum Schutz der katalanischen Sprache und Kultur. Jordi Sánchez war Präsident einer separatistischen Bürgervereinigung. Während die Polizei auf richterliche Anordnung gegen die Vorbereitungen auf ein unrechtmäßiges Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens vorgeht, Leute festnimmt und das Wirtschaftsministerium in Barcelona durchsucht, rufen die beiden Organisationen zum Protest vor dem Gebäude auf. Über 40.000 Leute folgen dem Aufruf und lassen die Polizisten nicht mehr raus. Am Ende sind drei Polizeiautos demoliert und laut der spanischen Zeitung "El País" 135.600 Euro Schaden entstanden. Den Jordis wird vorgeworfen, die Polizei an ihrer Arbeit gehindert zu haben. Die Anklage lautet deshalb auf Aufruhr und Rebellion.

Die Nichtregierungsorganisation Amnesty International fordert die Freilassung der Jordis, weil die Untersuchungshaft der beiden unverhältnismäßig lange sei.

Solidaritätsaufrufe von Intellektuellen verpufften

Auch spanische Intellektuelle sind mit dem Anklagepunkt der Rebellion nicht einverstanden. Denn diese erfordert ein gewalttätiges Handeln, was den Jordis schwer nachgewiesen werden kann.

Zehn Tage nach der Demonstration der Katalanen im März zeigten sich 30 Schriftsteller, Professoren und Journalisten aus Solidarität mit den Aktivisten symbolisch selbst an. Sie grenzten sich zwar von den Ideen der Separatisten ab. Aber die Selbstanzeige war ein Versuch, Spanien an demokratische Prinzipien zu erinnern. Dafür versammelten sich die Intellektuellen vor dem Hauptquartier der Gerichte im Norden Madrids und lasen ihr Manifest Abschnitt für Abschnitt vor: "Hier werden Rechte verurteilt, die es zu beschützen gilt, wie das Recht auf friedliche Demonstration, auf Versammlung und das Recht darauf, nicht einverstanden zu sein." Vor einer Handvoll Medienvertreter und einer weiteren Handvoll Demonstranten beschuldigen sie sich selbst dieser "Delikte", um "daran zu erinnern, dass wir ein Recht darauf haben, ‚Nein‘ zu sagen". Am Schluss die Aufforderung an die Bevölkerung, sich ihnen anzuschließen.

Aber diese Aktion war wirkungslos. Nichts sei passiert, sagt einer der Unterzeichner, der Journalist Guillem Martínez. Er sitzt vor seinem Espresso auf der Terrasse eines Kaffeehauses und raucht Kette. Es wundere ihn, dass sich niemand gemeldet hat, von all den Empörten. Es gehe nicht weiter um die Sache, sondern darum, die Zugehörigkeit und Stärke einer Gruppe zu zeigen.

Martínez ist selbst Katalane. Er verfolgt den Prozess seit Beginn und schreibt darüber in seinem Onlinemedium ctxt.es. Ganz ohne Propaganda. Eine Seltenheit, wie er selbst sagt. Denn dass sich der Konflikt zwischen Katalonien und Madrid immer weiter aufschaukelt, liege auch daran, dass es keine neutrale Presse in diesem Zusammenhang gebe. Es gibt zwei Perspektiven, die katalanische und die spanische: In der katalanischen Zeitung "La Vangardia" steht über die Jordis, dass sie den Protest lediglich gegen die Festnahmen in Barcelona organisiert haben. Spanische Zeitungen sprechen von einem Putschversuch.

Wie sehr die Katalonienfrage das Land beschäftigt, hat sich in der Parlamentswahl Ende April gezeigt. Sie hat den Rechtspopulisten von Vox, die die Einheit Spaniens fordern, eine Existenzberechtigung gegeben und ihnen eine potenzielle Zusammenarbeit mit den Konservativen und Liberalen in Aussicht gestellt. Dadurch hat sie die Wähler, die weder links noch rechts wählen wollten, in Bedrängnis gebracht. Den Sozialdemokraten, die weiterhin regieren wollen - der Chef der Sozialdemokraten, Pedro Sánchez, wurde erst am Freitag offiziell mit der Regierungsbildung beauftragt -, bereitet sie nachhaltige Probleme. Denn Katalonien will Zugeständnisse für die Duldung der Minderheitsregierung.

In den vergangenen dreieinhalb Monaten gaben jedenfalls mehr als 400 Zeugen ihre Aussage zu Protokoll, umgeben von Marmor, dunklem Holz und unter den Blicken der Nation, die das Ganze per Livestream verfolgen konnte, womit die Transparenz der spanischen Urteilsfindung gewahrt werden sollte. In 50 Verhandlungstagen ist nicht viel passiert, auch nicht bei der Haltung der spanischen Staatsanwaltschaft. Sie fordert weiterhin eine Bestrafung wegen Rebellion, auch für die Jordis. Martínez erwartet das Urteil entweder im Juli oder im Herbst.