Vorausgegangen waren diesem Akt viele Etappen, die man im Nachhinein wohl als gleichermaßen wichtig betrachten kann. Zunächst schlug der ungarische Grenzschutz schon 1987 den Abbau des Grenzzauns samt seines elektrischen Alarmsystems vor, aufgrund der vielen Fehlalarme durch Regen und wilde Tiere. Ein neuer Zaun aus rostfreiem Stahl hätte nur teuer aus Westeuropa importiert werden können. Die Landminen an der Grenze waren vorher schon entfernt worden.
Gorbatschows Desinteresse
Am 28. Februar 1989 beschloss das Politbüro der kommunistischen Partei in Budapest die Abschaffung der Elektro-Alarmanlage. Am 3. März holte sich Ministerpräsident Németh dafür von Michail Gorbatschow das Plazet - der Kremlchef erklärte bei dem Treffen, ihn interessiere es nicht, wie Ungarn seine Grenze schütze, und im Übrigen werde es keine Wiederholung von 1956 geben, solange er im Amt bleibe. Wie lange würde Gorbatschow durchhalten? Hundertprozentig traute Németh, wie er später erzählte, der Moskauer Haltung zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Gleich nach diesem Treffen begann Ungarn ohne Publikum mit dem Abbau des Grenzzauns - und zwar eines dreieinhalb Kilometer langen Stücks bei Rajka, dicht am Dreiländereck mit Österreich und der damaligen Tschechoslowakei. Es ging Németh darum, dass Österreich, aber auch die nahe stationierten sowjetischen Militärs das Geschehen auf jeden Fall mitbekamen. Es war, wie die folgenden Schritte, auch ein Test Richtung Moskau, der positiv ausfiel, erzählte Németh in HVG. Ihm fiel dazu auch seine Begegnung mit Gorbatschow beim letzten Treffen des Warschauer Pakts ein, im Juli 1989 in Bukarest. Gorbatschow habe damals den Ungarn beiläufig gefragt, wie es "seinen DDRlern am Plattensee" gehe. Der Kremlchef wusste demnach alles und ließ den Dingen ihren Lauf.
Erst am 2. Mai gab es zum Zaunabbau gut zehn Kilometer weiter südlich von Rajka, bei Hegyeshalom, eine internationale Pressekonferenz - die aber weitgehend unbeachtet blieb. Daraufhin wurde - nach ungarischer Lesart auf Initiative von Gyula Horn - am 27. Juni der vollends medienwirksame Zaundurchschnitt mit Mock organisiert. War dieser orchestrierte Propaganda-Coup notwendig? "Es war ein bisschen nachgemacht", meint Professor Balázs, "aber es ist gut, dass es geschehen ist. Weil es wahr war."