Zum Hauptinhalt springen

EU-Posten: Ein Schachspiel auf drei Ebenen

Von Martyna Czarnowska

Politik

Die Suche nach dem Spitzenpersonal für die EU ist eine Auseinandersetzung zwischen und in den EU-Institutionen. Bei einem Sondergipfel am Sonntag sind die Mitgliedstaaten am Zug.


Brüssel/Wien. Das Treffen am Abend könnte mit einem Frühstück am folgenden Tag enden. Für die außerordentliche Zusammenkunft der EU-Staats- und Regierungschefs am Sonntag in Brüssel ist zwar zunächst einmal nur ein Abendessen angesetzt. Doch Ratspräsident Donald Tusk, der das Treffen leitet, hat schon angekündigt: Wenn nötig, werden die Beratungen Montagfrüh fortgesetzt.

Zur Debatte steht nämlich die Besetzung hochrangiger EU-Posten. Sie ist wie ein kompliziertes Puzzle, in dem alle Teile ineinandergreifen müssen. Die großen Länder müssen vertreten sein. Die kleinen dürfen sich aber nicht vernachlässigt fühlen. Der Norden muss ebenso repräsentiert sein wie der Süden, der Osten wie der Westen. Das Gewicht der Parteienfamilien ist ebenfalls zu berücksichtigen. Und zumindest eine Frau sollte ja auch dabei sein.

Dieses fein austarierte Gefüge gilt es nun, gut einen Monat nach der Wahl des EU-Parlaments, neu zu finden. Gesucht werden: die Präsidenten der EU-Kommission, des EU-Rats, der Europäischen Zentralbank (EZB) und der oder die EU-Außenbeauftragte. Das Abgeordnetenhaus selbst muss ebenfalls seine Spitze wählen.

Eine Einigung auf das Personalpaket ist bei einem Gipfeltreffen in der Vorwoche nicht zustande gekommen. Die Vorstellungen der Mitgliedstaaten gingen zu weit auseinander. So erklärte der französische Staatspräsident Emmanuel Macron das von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel unterstützte Modell der Spitzenkandidaten für gescheitert. Auf die Einhaltung dieses Prinzips pochen aber die Christ- und die Sozialdemokraten sowie die Grünen im EU-Parlament.

Nach der EU-Wahl 2014 konnten die größten Fraktionen es noch durchsetzen, dass der Spitzenkandidat jener Partei, die beim Urnengang die meisten Stimmen erhalten hatte, das Amt des Kommissionspräsidenten übernimmt. Diesen Automatismus lehnen allerdings einige Regierungen ab. Parallel dazu gibt es aber auch im Abgeordnetenhaus in dessen neuer Zusammensetzung keine Mehrheit für den Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber.

Votum im Parlament

Die Suche nach dem EU-Spitzenpersonal vergleicht Stefan Lehne von der Denkfabrik Carnegie Europe denn auch mit einem "dreidimensionalen Schachspiel". Dabei werden auf unterschiedlichen Ebenen Auseinandersetzungen geführt: zwischen den Mitgliedstaaten und dem Parlament, zwischen den Parteien im Abgeordnetenhaus sowie zwischen den Ländern untereinander. "Alle drei haben ihre eigene Dynamik, müssen dann aber schließlich zusammenkommen", sagt Lehne der "Wiener Zeitung".

Dabei sei es im Kreis der Regierungschefs leichter, einen Ausgleich zu finden, weil es mehr Ämter zu vergeben gibt: Es ist nämlich dieses Gremium, das die Vorschläge für EU-Kommission, EU-Rat und EZB vorlegt. "Das Parlament ist aber noch immer im Spiel", meint Lehne. Es muss den Kandidaten für den Posten des Kommissionspräsidenten per Votum bestätigen.

Doch auch wenn sich die Staaten in den nächsten Tagen nicht auf Namen einigen, steht im Abgeordnetenhaus eine Abstimmung an. Das Parlament konstituiert sich Anfang der kommenden Woche und wählt am Mittwoch seinen Präsidenten. Dadurch wäre zumindest eine Personalie fixiert - und das wiederum könnte Bewegung ebenso in die Länderversammlung bringen.

Was immer bei diesem komplexen Spektakel herauskommt - es ist wichtig für den künftigen Kurs der EU. "Es ist bedeutsam, wer welche Position einnimmt, wie die Personen und die Institutionen zusammen spielen", unterstreicht Janis Emmanouilidis von der Denkfabrik EPC (European Policy Centre). Daher könne es durchaus Zeit brauchen, um einen Kompromiss zu finden. Falls sich dieser in den kommenden zwei Wochen abzeichne, dann könne auch von keiner institutionellen Krise die Rede sein.

Lähmende Personaldebatte

Nicht wünschenswert hingegen wäre eine institutionelle Pattsituation über die Sommerpause hinaus, meint Emmanouilidis. Denn die Bestellung des Kommissionspräsidenten ist nur der Anfang zur Bildung der Kommission, in die die Mitgliedstaaten ihre Kandidaten entsenden. Je länger der Prozess dauert, umso länger ist die EU auch durch Personaldebatten gelähmt. Dabei hätte sie sich etlichen anderen Herausforderungen zu stellen.