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Die neue alte Garde

Von WZ-Korrespondent Ferry Batzoglou

Politik

Der Konservative Kyriakos Mitsotakis wird laut Umfragen Alexis Tsipras als griechischen Premierminister beerben. Der Harvard-Absolvent gilt als Inbegriff der traditionellen Machtelite.


Athen. Kyriakos Mitsotakis, 51, Scheitel, schlank, groß, steht schon in den Startlöchern. Er wird, so prognostizieren das alle Umfragen in Athen, die vorgezogenen Parlamentswahlen am 7. Juli in Griechenland klar gewinnen - und damit die Ära Alexis Tsipras nach knapp viereinhalb Jahren beenden.

Es ist ein Quantensprung. Mitsotakis, ein bekennender Wirtschaftsliberaler, der den krisengeplagten Griechen drastische Steuersenkungen versprochen hat und das latente Euro-Sorgenkind mit Privatisierungen im großen Stil und einem radikalen Bürokratieabbau endlich wettbewerbsfähiger machen will, ist die ultimative Verkörperung der alten Polit-Elite zu Füßen der Akropolis.

Tsipras hatte sie vor seiner Amtsübernahme im Jahr 2015 als Hauptschuldigen dafür gebrandmarkt, Hellas 2010 beinahe in den Ruin getrieben zu haben. Und er hatte angekündigt, die alte Garde nach seiner Machtübernahme politisch zu entsorgen.

Daraus wurde nichts. Im Gegenteil. Mitsotakis, Spross einer alten Politiker-Dynastie, die mit dem Staatsmann Eleftherios Venizelos ihren Anfang nahm, der zwischen 1910 und 1933 insgesamt 15 Jahre griechischer Premier war, ist Sohn des 2017 verstorbenen Ex-Premiers Konstantinos Mitsotakis. Seine Schwester Dora Bakojanni fungierte schon als Oberbürgermeisterin von Athen und später griechische Außenministerin, ihr Sohn Kostas Bakojanni wurde jüngst bei den Kommunalwahlen zum Bürgermeister in Athen gewählt. Er tritt sein Amt am 1. September an - wenn sein Onkel Kyriakos wohl schon Premier ist.

Dabei wollte Kyriakos Mitsotakis ursprünglich gar nicht in die Politik, wie er immer wieder beteuert. In Athen geboren kam Kyriakos als sechs Monate altes Baby mit seiner Familie nach Paris. Dorthin war sein Vater Konstantinos ins Exil gegangen, nachdem er schon bald nach der Machtergreifung griechischer Obristen mehrmals in Haft genommen worden war.

Nach dem Fall der Obristendiktatur kehrte Kyriakos im Alter von sechs Jahren nach Athen zurück. Er besuchte das renommierte Athener College im Diplomatenviertel Psychiko, eine traditionelle Elite-Schmiede, und studierte anschließend Sozialwissenschaften an der Harvard University. Danach arbeitete er als Wirtschaftsanalytiker bei der Chase Manhattan Bank in London, bei McKinsey und diversen griechischen Banken.

Mehr Jobs, mehr Geld

In die Politik ging Mitsotakis im Jahr 2004. Er wurde auf Anhieb in das griechische Parlament gewählt. Seither gehört er ununterbrochen der "Boule der Hellenen" an. Sein Wahlkreis ist der zweite Wahlkreis im Großraum Athen, der bevölkerungsreichste in ganz Griechenland. Er umfasst wohlhabende Wohnviertel im Norden der Vier-Millionen-Metropole, aber auch arme Arbeiterviertel im Westen der Stadt. Vom Juni 2013 bis zur Abwahl der Regierung aus konservativ-liberaler Nea Dimokratia (ND) und sozialdemokratischer Pasok unter Premier Antonis Samaras fungierte Mitsotakis als Minister für Verwaltungsreform und E-Government. In dieser Funktion war er 2014 für die erfolgten Entlassungen von Beamten verantwortlich, den ersten in Griechenland nach 103 Jahren.

In einer Stichwahl am 10. Jänner 2016 wählte ihn die ND-Parteibasis zum neuen Parteivorsitzenden. Im Vorfeld waren Mitsotakis, der anfangs mit drei weiteren Kandidaten zur Wahl angetreten war, nur Außenseiterchancen eingeräumt worden.

Der bekennende Pro-Europäer Mitsotakis sprach sich damals für einen frontalen Konfrontationskurs gegenüber der regierende Syriza unter Premier Tsipras aus. Dies setzte er als Oppositionschef im Athener Parlament auch konsequent um.

So lehnt Mitsotakis nicht nur den Anfang 2019 abgeschlossenen Namensdeal zwischen Athen und Skopje ab. Er geißelte Tsipras auch immer wieder als unbelehrbaren Populisten, der nicht wirklich an Reformen glaube. Tsipras sei nur ein Reformer wider Willen, so Mitsotakis.

Er hingegen fordere tiefgreifende Reformen im Eiltempo - aus Überzeugung. Diese habe Griechenland nötig, um nach dem faktischen Staatsbankrott fortan wieder mit Wachstumsraten von anvisierten vier Prozent "abheben" zu können. Diesmal nicht auf Pump, aber auch ohne Beamten zu feuern. "Gute Jobs, mit guten Gehältern" verspricht Mitsotakis‘, doch die Umsetzung dürfte auch dem Harvard-Absolventen schwerfallen. Schließlich hängt die Arbeitslosenquote in Hellas trotz leichter Fortschritte in den vergangenen Jahren noch immer bei 18 Prozent fest.