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Triumphator Macron, zürnende Parlamentarier

Von Martyna Czarnowska und Alexander Dworzak

Politik

Die Gewinner und Verlierer des Pokers um die EU-Toppositionen.


Brüssel/Wien. Nach politischer Heimat, regionaler Ausgewogenheit und Geschlechterparität sollten die Topjobs beim EU-Gipfel besetzt werden. Anspruch und Wirklichkeit klafften auseinander, als sich die Staats- und Regierungschefs auf EU-Kommissionspräsident, Außenbeauftragten, Ratspräsident und die Spitze der Europäischen Zentralbank einigten. Wer profitiert, wer verliert?

Emmanuel Macron setzt sich dreifach durch

Die Personalsuche hätte kaum besser ausgehen können für Emmanuel Macron. Erstens verhinderte Frankreichs Präsident den aus seiner Sicht leichtgewichtigen, weil regierungsunerfahrenen Manfred Weber, Spitzenkandidat der konservativen EVP bei der EU-Wahl. In einem Aufwischen hebelte Macron damit das ungeliebte Spitzenkandidaten-Prinzip aus. Zweitens wird der liberale Premier Belgiens, Charles Michel, neuer Ratspräsident der Union - ein Fraktionskollege Macrons. Deren Allianz "Europa erneuern" ist zwar nur drittstärkste Kraft im EU-Parlament, konnte aber der EVP den Ratspräsidenten abspenstig machen. Und drittens wird Macrons Landsfrau Christine Lagarde, derzeit Chefin des Internationalen Währungsfonds, neue Präsidentin der Europäischen Zentralbank.

Gegen Macrons Erfolge verblasst Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel. Der Gipfel drohte für sie zum Debakel zu werden, als sie Manfred Weber und Frans Timmermans nicht als Kommissionschef durchbrachte. Doch nun kann Merkel sagen, dass der wichtigste EU-Posten nach 52 Jahren wieder von Deutschland gestellt wird. Was zeigt: Ohne die deutsch-französische Achse geht weiterhin nichts in der EU.

Eine Personalauswahl des "Alten Europa"

Eine Deutsche als Chefin der Kommission, ein Belgier als Ratspräsident und eine Französin an der Spitze der Europäischen Zentralbank: Es sind Vertreter aus drei Ländern, die bereits Gründungsmitglieder der Ur-Union waren, der 1951 aus der Taufe gehobenen Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Dazu kommt der spanische Außenbeauftragte Josep Borrell. Der iberische Staat stieß in der dritten Erweiterungsrunde 1986 zur damaligen Europäischen Gemeinschaft. Zu dieser Zeit umfasst die EG zwölf Mitglieder, heute ist es eine Union der 28. Der seit 2004 dazugekommene Osten der Union, von den baltischen Staaten im Norden über Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn in Mitteleuropa bis hin zu Kroatien, Bulgarien und Rumänien im Süden bleibt im ausgehandelten Personaltableau unberücksichtigt.

Die Mittelosteuropäer gehen leer aus

Donald Tusk konnte gerade einmal eine Hoffnung zum Ausdruck bringen: Es sei zu erwarten, dass die neue EU-Kommissionspräsidentin bei der Auswahl ihrer Stellvertreter in der Brüsseler Behörde für eine "geografische Balance" sorge. Denn was der Pole Tusk bei seiner Kür zum EU-Ratspräsidenten vor wenigen Jahren repräsentierte, fehlt jetzt völlig: dass Ost- und Mittelosteuropa vertreten ist.

Dass die Länder aus der Region nicht einen der Spitzenposten für sich reklamieren konnten, liegt freilich auch an ihnen selbst. Die nationalkonservativen Regierungen in Warschau und Budapest konzentrierten sich nämlich darauf, jemanden zu verhindern, statt eigene konstruktive Vorschläge einzubringen. Ungarns Regierungssprecher jubilierte nach der Personalentscheidung auf Twitter, dass die vier Visegrad-Länder den Konservativen Manfred Weber "besiegt" hätten und der Sozialdemokrat Frans Timmermans ebenfalls nicht Kommissionspräsident wird. Welchen Preis für die Blockadepolitik die Verhinderer zahlen könnten, erwähnten sie nicht. Und Dank aus Bratislava, Ljubljana oder Bukarest ist ihnen auch keineswegs gewiss.

Ein Spitzenkandidat geht unter

Manfred Weber war angetreten, um EU-Kommissionspräsident zu werden. Der Christdemokrat stand für das Spitzenkandidaten-Prinzip, das die zwei größten Fraktionen im EU-Parlament nach der EU-Wahl 2014 durchgesetzt hatten. Doch selbst nachdem seine konservative EVP beim Votum im Mai die meisten Stimmen erhalten hatte, konnte der langjährige EU-Parlamentarier keine Mehrheit im Abgeordnetenhaus hinter sich scharen. Im Kreis der Staats- und Regierungschefs waren die Widerstände gegen ihn ebenfalls unüberwindbar. Mit einem Posten in der Volksvertretung hätte er getröstet werden sollen: Erwartet wurde, dass sich der CSU-Politiker der Wahl zum Parlamentspräsidenten stellt.

Doch Weber verzichtete vorerst darauf. Seinen Auftrag als Spitzenkandidat gab der Deutsche zurück. Damit zollte er nicht zuletzt Kanzlerin Merkel und Ursula von der Leyen Tribut - dadurch wird der Wechsel der Verteidigungsministerin an die Spitze der EU-Kommission leichter.

Das EU-Parlament schwächelt

Unter seinem früheren Präsidenten Martin Schulz hat das EU-Parlament sein Profil geschärft. Es war zumindest ein lautstarker Akteur. Doch im Dreispiel der EU-Institutionen bleibt es zwischen der EU-Kommission und dem Rat, der Länderversammlung, noch immer der schwächste Teil. Es bestimmt zwar in wichtigen Bereichen mit, doch die Kommission legt Gesetzesvorschläge vor - die gegen den Willen der Regierungen oder auch nur eines Kabinetts aber nicht beschlossen werden können.

Als die Christ- und Sozialdemokraten 2014 das Spitzenkandidaten-Modell durchsetzten und der Christdemokrat Jean-Claude Juncker Kommissionspräsident wurde, hat das Abgeordnetenhaus einen wichtigen Teil in dem Personalpuzzle selbst gesetzt. Doch dieses Mal wurde niemand aus den Reihen der gewählten EU-Volksvertreter mit einem Topjob bedacht. Wie das Parlament nun eine starke Position aufbauen will, muss es erst herausfinden.