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Von der Leyen: Vom Ballast für Merkel zur Stütze Europas?

Von Alexander Dworzak

Politik

Macron attestiert ihr "europäische DNA". Nun muss sie die EU-Parlamentarier für sich gewinnen.


Straßburg/Berlin. Ursula von der Leyen kann eine Menschenfängerin sein. Sie flirtet vor laufender Kamera mit Hugh Jackman, lässt sich von dem Schauspieler aus einer Tonne heben und wie eine Braut auf ein Studiosofa tragen. Das Publikum johlt, die Kritiker sind verzückt. Diese Episode spielte sich bei "Wetten, dass" ab. Dummerweise liegt sie mehr als zehn Jahre zurück. Das einstige Aushängeschild der Samstagabendshows im TV ist längst eingestellt. Vergangenheit, wie Ursula von der Leyens Beliebtheit.

"McKinsey-Ministerin"

Heute taucht die deutsche Verteidigungsministerin nicht einmal mehr in der ARD-Rangliste auf, in der die Zufriedenheit der Bürger mit den Politikern abgefragt wird. Tritt die 60-Jährige auf, dann mit ernster Miene statt strahlendem Gesicht. Von der Leyen muss dubiose Beraterverträge erklären, wird als "McKinsey-Ministerin" gescholten. Hohe Kosten werden ihr auch bei der Renovierung des Bundeswehr-Segelschiffs "Gorch Fock" vorgehalten. Rechtsextremismus in der Truppe rundet das Bild ab. Als von der Leyen erklärt, die Bundeswehr habe "ein Haltungsproblem", wird ihr dieses Pauschalurteil in den eigenen Reihen vorgeworfen.

Um erfolglose Politiker wird es einsam. Angela Merkel sucht längst nicht mehr die Nähe von der Leyens. Dabei begann deren bundespolitischer Aufstieg mit der Kanzlerschaft Merkels. Sie holt die niedersächsische Sozialministerin 2005 in ihr Kabinett, von der Leyen leitet das Familienressort. Vier Jahre später übernimmt die studierte Medizinerin die Gesundheitsagenden, 2013 wechselt sie in das traditionell schwierige Verteidigungsministerium - als erste Frau.

Auch an der Spitze der EU-Kommission wird von der Leyen die erste Frau sein. Brüssel ist dennoch kein neues Pflaster für sie, ihre ersten 13 Lebensjahre verbrachte die Tochter des ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht in der belgischen Hauptstadt. Das erleichtert die Zusammenarbeit mit dem Beamtenapparat, zudem kann sie mit Spitzenpolitikern wie Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron oder dem neuen EU-Ratspräsidenten Charles Michel auf Französisch parlieren.

Macron lobte bereits ihre "europäische DNA" und auch die Visegrad-Länder bereiteten von der Leyen einen freundlichen Einstand. "Ich denke, das ist eine gute Wahl", sagte selbst Polens Außenminister Jacek Czaputowicz, dessen nationalkonservative Regierung sich mit ihrem Berliner Pendant schwertut. Ihre internationale Reputation hebt sich somit deutlich von der Stimmung in Deutschland ab. Auch im Verteidigungsbündnis Nato - dort ist sie die dienstälteste Ministerin - wird von der Leyen geschätzt.

Nun muss sie die EU-Parlamentarier für sich gewinnen. In der Sitzungswoche ab dem 16. Juli stimmen die Abgeordneten ab, ob von der Leyen ihr Amt antritt. Vor allem bei Sozialdemokraten und Grünen ist Überzeugungsarbeit vonnöten, selbst in ihrer konservativen Parteienfamilie EVP rümpfen einige Abgeordnete die Nase. Sie beharren darauf, dass einer der Spitzenkandidaten bei der EU-Wahl im Mai die Kommission anführt. Und empfinden die von den Staats- und Regierungschefs vor die Nase gesetzte von der Leyen als Affront.

Koalitionsbruch gefordert

Die lautesten Proteste kommen aus Deutschland. Der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel ruft seine Genossen gar zum Bruch der schwarz-roten Koalition in Berlin auf. Doch außerhalb des deutschsprachigen Raumes hat das Spitzenkandidaten-Modell keine Bedeutung erlangt. Dass nun ausgerechnet eine deutsche Partei lautstark gegen die erste deutsche Kommissarin opponiert, wird von den Wählern in der Bundesrepublik wohl kaum goutiert werden. CSU-Chef Markus Söder hält der SPD vor, eine "echte Belastung" für die Koalition zu sein.

Diese Debatte wird wohl an Ursula von der Leyen abprallen. Und auch räumlich ist sie bereits fern von Berlin: Am Mittwoch eilte sie nach Straßburg, wo diese Woche die EU-Parlamentarier tagen. Die Abgeordneten zu überzeugen ist aber eine leichte Übung im Vergleich zur Aufgabe als Kommissionschefin. Als Hüterin der EU-Verträge müsste von der Leyen diese etwa gegenüber US-Präsident Donald Trump verteidigen.