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Alexis Tsipras: Volkstribun ohne Volk

Von WZ-Korrespondent Ferry Batzoglou

Politik

Der linke Premier versprach, endlich die Oligarchen in Griechenland zur Kasse zu bitten und den Klientelismus zu bekämpfen. Er hielt nichts davon - und steht bei der Parlamentswahl vor einer Niederlage.


Salamis/Athen. Dimitris Markopoulos hat es eilig. Er will den Wochenmarkt auf der Insel Salamis besuchen. Salamis hat mehr als 40.000 Einwohner, in den Schulferien ab Mitte Juni sind es deutlich mehr, wenn die Bewohner aus dem nahegelegenen Piräus hier mit Kind und Kegel ihren Urlaub verbringen.

Salamis ist für Markopoulos wichtig. Die Insel gehört zum zweiten Wahlkreis von Piräus. Markopoulos, 44, ist Kandidat für die am Sonntag in Griechenland stattfindende Parlamentswahl. Er tritt für die konservativ-liberale Nea Dimokratia (ND) an. Er ist ein Polit-Neuling.

Markopoulos mischt sich am Markt unter die Leute, man klopft sich gegenseitig auf die Schulter, man herzt sich sogar. Fast wie auf einer Familienfeier.

"Syriza hat das politische Klima total vergiftet"

Ob Jung oder Alt: Viele kennt Markopoulos persönlich. Er verteilt Flugblätter, häufig entwickeln sich kurze Gespräche, freudiges Lachen überall. Es ist nicht gespielt. Markopoulos‘ Wahlkampftour in Salamis gleicht einem Triumphzug.

"Vor vier, fünf Jahren wäre ein Besuch auf dem Markt für einen ND-Politiker ein Spießrutenlauf gewesen. Das ist nun ganz anders. Jetzt traut sich keiner von der Regierungspartei Syriza hierher", sagt Markopoulos.

Was hat ihn in die Politik gebracht? "Dieses Außer-sich-Geraten von Syriza", sagt der einstige Journalist. "Als Syriza noch in der Opposition war, haben sie die damals Regierenden mit ihrem Sparkurs als ‚Verräter und Handlager der deutschen Besatzer‘ beschimpft. Das war verletzend. So haben sie die Menschen aufgewiegelt. Als Syriza an die Macht kam und sehen musste, dass auch eine linke Regierung in Athen sparen muss, haben sie sich nicht für ihr voriges Gebaren entschuldigt."

Syriza habe damals das politische Klima total vergiftet, so Markopoulos. Ende 2017 habe er ein Angebot von ND-Chef Kyriakos Mitsotakis bekommen, bei der Parlamentswahl für die Nea Dimokratia anzutreten. Markopoulos hat gute Chancen, ein Mandat in seinem Wahlkreis zu ergattern.

Die ND gewann bereits die Europawahl im Mai klar, lag 9,5 Prozentpunkte vor Syriza. Ein Erdrutschsieg für die Konservativen. Premier Alexis Tsipras rief prompt vorgezogene Neuwahlen für den 7. Juli aus. Turnusgemäß hätten sie im Oktober stattfinden sollen. Alle Umfragen sehen die ND nun wieder deutlich vorne. Besonders stark legte sie bei der Europawahl just in jenen Wahlkreisen in den Metropolen zu, die zuvor zu den Hochburgen von Syriza, dem "Bündnis der Radikalen Linken", avanciert waren.

Das Comeback der konservativen Nea Dimokratia

Dort, wo die ärmeren bis armen Griechen leben. Eben jene Krisenverlierer, die schon bald nach dem Ausbruch der desaströsen Griechenlandkrise vor zehn Jahren den Boden unter den Füßen verloren und in Scharen aus Protest gegen die alten Eliten und etablierten Parteien zur einstigen Kleinstpartei Syriza übergelaufen waren. So wie im zweiten Wahlkreis von Piräus.

Das Comeback der ND wäre ein Triumph von Parteichef Kyriakos Mitsotakis, den die Parteibasis Anfang 2016 ins Amt hievte: Mitsotakis, 51, ist ein bekennender Wirtschaftsliberaler, Spross einer Politiker-Dynastie, die ultimative Verkörperung der alten griechischen Polit-Elite, die nicht nur laut Tsipras den griechischen Karren in den Dreck gefahren hatte. Es wäre eine schallende Ohrfeige für Tsipras, der die alte Elite in Athen politisch entsorgen wollte.

Kostas Douzinas, 68, Hornbrille, Kahlkopf, dicker Bauch, hat gerade ein Interview im parteieigenen Syriza-Radiosender "Sto Kokkino" ("Im Roten") gegeben. Den Fragensteller lässt Douzinas kaum zu Wort kommen. Es ist eher ein Monolog. Douzinas, Professor für Rechtsphilosophie an einer Londoner Uni, lebte 40 Jahre im Vereinigten Königreich, bevor er 2015 Syriza-Abgeordneter wurde. Der Syriza-Vordenker hat viele Bücher geschrieben. Seit 2015, in seiner Zeit als Abgeordneter, kamen drei weitere dazu. Eines davon heißt: "Syriza in Power". Douzinas tritt im ersten Wahlkreis von Piräus an. Diesmal muss er um jede Stimme kämpfen. Ein offenbar aussichtsloses Unterfangen.

Syriza werde beim Urnengang am Sonntag "auf keinen Fall weniger als 23 Prozent holen", ist sich Douzinas sicher. So viel holten Tsipras und Co. bei der Europawahl. Die Nea Dimokratia steuert derweil auf eine absolute Mehrheit der Mandate im 300 Sitze umfassenden Parlament in Athen zu - einem Bonus von 50 Mandaten für die stärkste politische Kraft sei Dank.

Als möglicher Bündnispartner für die ND käme, falls nötig, die sozialdemokratische Kinal um die ehemals omnipotente linke Pasok in Frage. Sie bleibt bei Umfragen aber unter zehn Prozent. Den Sprung über die Drei-Prozent-Hürde könnte ferner der schillernde Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis mit seiner neuen Partei "Diem25" schaffen.

Tsipras hat sich schon mit der Niederlage abgefunden. Zwar hat der linke Premier Griechenland im August 2018 anders als seine konservativen und sozialdemokratischen Vorgänger aus den ungeliebten Kreditprogrammen samt ihrer rigiden Spar- und Reformauflagen geführt. Ferner drückte er die Arbeitslosenrate um sechs Punkte auf knapp unter 20 Prozent. Obendrein wächst die griechische Wirtschaft, wenn auch nur leicht.

Tsipras gewährte Superreichen Steuererleichterungen

Tsipras hatte zu Amtsbeginn vor viereinhalb Jahren aber auch versprochen, endlich die griechischen Oligarchen zur Kasse zu bitten sowie den grassierenden Klientelismus, die Vetternwirtschaft und Korruption des alten Polit-Establishments als die echten Übel zu bekämpfen, die Griechenland im Frühjahr 2010 beinahe in den Ruin getrieben hatten.

Er hielt nichts davon. Tsipras installierte selbst ein eigenes System der Vetternwirtschaft, es gibt zumindest Indizien für Korruption in Tsipras’ Umfeld, den Superreichen gewährte der Sozialist sogar Steuererleichterungen. Dafür schröpfte er die griechische Mittelschicht bis über die Schmerzgrenze.

Ferner schockte die Griechen das komplette Staatsversagen, als am Juli vorigen Jahres eine verheerende Feuerwalze durch den Küstenort Mati rollte und dabei 102 Menschen starben.

Auch der Anfang 2019 ratifizierte Namensdeal zwischen Athen und Skopje, wonach Griechenlands nördlicher Nachbar fortan Nordmazedonien heißt, kostet Tsipras hierzulande massiv Stimmen. Der Volkstribun hat sein Volk verloren.