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Wie Salvini Italiens Krise ausnutzt

Von WZ-Korrespondent Julius Müller-Meiningen

Politik
Das Vakuum, das das Ende Berlusconis bei den Konservativen hinterlassen hat, spielt Lega-Chef Salvini in die Hände.
© reu

Italiens Innenminister nutzt die Ängste der Menschen erfolgreich für seine Politik der Ausgrenzung. Als Feindbilder dienen Matteo Salvini die EU sowie Flüchtlinge und deren Helfer.


Rom. Italien, das steht für viele für einen freundlichen Katholizismus, für sonnige Stände und historische Altstädte. Doch der italienische Innenminister Matteo Salvini hat Europa aus diesem Dolce-Vita-Schlummer erweckt. Der vierfache Ex-Premier Silvio Berlusconi war dafür nur ein populistischer Vorbote. Berlusconi sabotierte ganz offen den von ihm vertretenen Staat, das kam bei den oftmals staatsskeptischen Italienern über Jahre hinweg gut an. Salvini hat diese Gangart nun verschärft. Er spielt virtuos mit den Ängsten der Italiener, die in den vergangenen Jahren immer größer geworden sind.

Hemdsärmeligkeit und eine Prise Mussolini-Rehabilitierung

Vor allem in Brüssel, aber auch in den Regierungsvierteln von Berlin und Paris, schütteln viele angesichts des kometenhaften Aufstiegs des 45 Jahre alten Lega-Chefs den Kopf. Salvinis Erfolg ist allerdings nur möglich, weil die meisten seiner Landsleute einen katastrophalen Eindruck von der Lage ihrer Nation haben. Das ist der Stoff für Salvinis Politik.

Tatsächlich hat die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 einer ganzen Generation den Boden unter den Füßen entzogen. Den teilweise berechtigten Frust über die eigene Politiker-Kaste nutzte seit 2013 vor allem die Fünf-Sterne-Bewegung. Doch während die vom Komiker Beppe Grillo gegründete linkspopulistische Bewegung in den vergangenen Monaten in der Wählergunst immer weiter zurückfiel, wurde die frühere Lega Nord unter Salvinis Führung immer stärker. Heute ist die ehemalige sezessionistische Kleinpartei die stärkste politische Kraft in Italien und kommt laut Umfragen derzeit auf Rekordwerte von 36 Prozent der Stimmen. Meinungsforscher stellen zudem fest, dass knapp 60 Prozent aller Italiener die Hafenblockaden für private Rettungsschiffe mit Migranten unterstützen.

Salvini besetzt inzwischen auch das Vakuum, das der Zusammenbruch der Christdemokratie Anfang der 1990er Jahre und das schleichenden Endes Berlusconis im konservativen Spektrum hinterlassen haben. Sein Rezept: Hemdsärmeligkeit, drastische Wortwahl, eine Prise Mussolini-Rehabilitierung und vor allem klare Feindbilder. Die Sündenböcke in Salvinis Italien sind wahlweise EU-Politiker und -Bürokraten, aber vor allem Migranten und deren Helfer.

Das von Salvini auf die Spitze getriebene Narrativ, die anderen seien an der italienischen Misere schuld, ist so simpel wie verführerisch. Wirtschaftspolitisch sind nach seiner Darstellung nicht etwa die Regierungen in Rom verantwortlich, die über Jahrzehnte ein enormes Staatsdefizit angehäuft haben, sondern die unflexiblen Bürokraten in Brüssel und Berlin. Innenpolitisch setzt der Innenminister auf Law&Order in einem Land, in dem die sprichwörtliche Flexibilität ihre Grenzen erreicht hat. Die Italiener haben ihre eigene Regellosigkeit satt, das macht es dem starken Mann von rechts nun leicht. Wenn erst einmal die ungeregelte Immigration gebannt ist, geht es Italien besser, so lautet Salvinis Botschaft.

Sogar für frühere Anhänger der linken Mitte ist es mittlerweile durchaus denkbar, der Lega ihre Stimme zu geben. Die Diktion, Italien sei von den EU-Partnern im Stich gelassen worden, verfängt auch deshalb, weil sie in Teilen zutrifft. Als Mittelmeerland stand Italien den Flüchtlingsbewegungen lange alleine gegenüber. So kommt es, dass die Lega ausgerechnet in den einstigen Hochburgen der Toleranz Erfolg hat. In den lange für ihre Aufnahmebereitschaft gerühmten Gemeinden Riace und Lampedusa hat die Lega heute das Sagen. Insofern ist Salvinis Erfolg auch die Rechnung für die unsolidarische und egoistische Flüchtlingspolitik der EU-Länder.

Inszenierung als Kämpfer gegen das System

Wo will Salvini hin? Ganz gewiss zielt der Vize-Regierungschef auf das höchste Amt, den Job des Premiers. Sein politisches Kapital lässt sich auf die Wahlkampfformel "Zuerst die Italiener" reduzieren, dieses Gefühl ist der Humus, auf dem Salvinis Nationalismus gedeiht. Von der Verteidigung der Grenzen und der nationalen Interessen versprechen sich die Italiener Sicherheit. Dass dabei die Wirklichkeit nur eine bedingte Rolle spielt, zeigt etwa die sinkende Kriminalitätsrate. Viele Italiener sind dennoch verunsichert.

Trotz Regierungsverantwortung gelingt es dem Lega-Chef, sich als Anti-System-Kraft darzustellen. Das war bereits das (paradoxe) Erfolgsrezept Berlusconis und der Fünf Sterne, die beide tief in der Krise stecken. Salvini wird Italien und Europa noch eine Weile beschäftigen. Irgendwann aber dürften auch seine Parolen an ihre Grenzen kommen. Spätestens dann läuft auch Salvini Gefahr, dem Establishment zugerechnet zu werden.