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Tod vor der Festung Europa

Von Siobhán Geets

Politik

Die Routen über das Mittelmeer sind so gut wie dicht, die Seenotrettung ist quasi eingestellt. Die Vereinbarung der EU mit Libyen hat tödliche Folgen.


Brüssel/Tripolis. Neben dem Schiff der libyschen Küstenwache ragt eine Hand aus dem Wasser. Verzweifelt versucht der Ertrinkende, sich an etwas festzuklammern, aber da ist nichts, nur die glatte Oberfläche des Bugs. Schließlich geht der Mann unter, ertrinkt im Mittelmeer, vor den Augen der libyschen Soldaten. Das "New York Times"-Video mit den verstörenden Bildern ging um die Welt, es zeigt die Seenotretter der "Sea-Watch 3", wie sie versuchen, Schiffbrüchige aus dem Mittelmeer zu ziehen. Die libysche Küstenwache hilft nicht, im Gegenteil, die Soldaten behindern die Rettungsaktion, sie drohen den Rettern und schlagen auf Flüchtlinge ein. Mindestens 20 Menschen sterben. Die libysche Küstenwache, das macht das Video deutlich, hat kein Interesse daran, Menschen zu retten.

Die Toten im Mittelmeer sind auch eine Folge der europäischen Flüchtlingspolitik. Im März hat die EU ihre Rettungseinsätze vor der libyschen Küste eingestellt - und die Verantwortung ausgelagert an einen Staat, in dem Milizen das Sagen haben. Bezahlt werden sie dafür, Flüchtlinge an der Überfahrt nach Europa zu hindern - egal wie. Die Folge: Die Routen über das Mittelmeer sind so gut wie dicht, die Seenotrettung ist quasi eingestellt.

Das schlägt sich auch in den Zahlen nieder: Während 2015, als mehr als eine Million Flüchtlinge in die EU kamen, 2280 Menschen die Überfahrt nicht überlebten, stirbt mittlerweile jeder Achte zwischen Libyen und Italien. Es brechen zwar immer weniger Menschen von dem Bürgerkriegsland aus auf, doch die Überfahrt ist gefährlich wie nie zuvor.

Ziehen die Soldaten der libyschen Küstenwache tatsächlich Flüchtlinge aus dem Wasser, bringen sie sie zurück nach Libyen. Dort droht ihren eine Tortur: Sie werden gefoltert, versklavt oder gezwungen, in dem Bürgerkriegsland aufseiten der Milizen zu kämpfen.

Die einzige Hoffnung der Menschen ist, von einem der wenigen verbleibenden Rettungsschiffe europäischer NGOs aufgegriffen zu werden. Doch diese geraten immer mehr unter Druck: In Italien dürfen sie nicht mehr einlaufen und auch Malta lässt Schiffe nur in seine Häfen, wenn andere Staaten die Verantwortung für die Flüchtlinge übernehmen. Gegen etliche freiwillige Helfer laufen Verfahren wegen Hilfe zur illegalen Einreise, ihre Schiffe werden beschlagnahmt.

Die Seenotrettung im Mittelmeer ist zum juristischen Risiko geworden. Und in der EU gibt es kein Interesse daran, die Seerettungsmission wieder aufzunehmen. Erst müsse man die Verteilung der Migranten innerhalb der EU regeln, heißt es dazu aus Berlin. Eine Lösung ist nicht in Sicht - mehrere östliche EU-Staaten sind strikt gegen eine Quote zur Verteilung von Flüchtlingen.