Wien. (ett) Auf die prekäre Lage im ungarischen Justizwesen macht jetzt eine Delegation der Europäischen Richtervereinigung nach einer Beobachterreise Ende April nach Budapest aufmerksam, deren Bericht der "Wiener Zeitung" vorliegt. Im Zentrum der scharfen Kritik steht die bei der Fact-finding-Mission festgestellte "problematische Situation" für das Rechtswesen in Ungarn.

Diese zeichne sich durch ein "völlig unkontrolliertes Agieren der Präsidentin des Nationalen Amts für die Gerichtsbarkeit" aus. Das sei allgemein bekannt, werde aber von politischer Seite geduldet. Ministerpräsident Viktor Orbán und dessen nationalkonservative Fidesz-Partei waren in den vergangenen Monaten mit massiven Bedenken der Europäischen Kommission unter anderem wegen der Justizreform konfrontiert. In den Schlussfolgerungen des Richterreports wird gewarnt, dass die Gerichtsbarkeit in Ungarn seit Mai 2018 mit einer sehr schwierigen Situation konfrontiert sei, die bei einigen Aspekten einer "Verfassungskrise" nahekomme.

Bei einer Veranstaltung diesen Montag im Justizpalast zum Thema "Europa und der Rechtsstaat" werden ganz bewusst die Entwicklungen im ungarischen Justizwesen in den Mittelpunkt gestellt. Es geht dabei um Einflussnahme auf Richterbestellungen und die "Ausschaltung" des nationalen Rats der Gerichtsbarkeit.

Die Präsidentin der österreichischen Richtervereinigung, Sabine Matejka, verweist darauf, dass den Angriffen auf die Unabhängigkeit der Justiz in Polen in den Medien öfter Aufmerksamkeit geschenkt werde. Es sei ihr "ein großes Anliegen", die Probleme in Ungarn ins Bewusstsein zu rufen. Deshalb werde dies kurzfristig in das Programm der Veranstaltung im Justizpalast eingebaut werden.

Dies auch deswegen, weil es den Kollegen in Ungarn aufgrund der Kontrolle der Regierung über die meisten Medien kaum noch möglich sei, auf die Schwierigkeiten aufmerksam zu machen.

Die Regierung Orbán ist zwar nach der EU-Wahl Ende Mai als Signal an die Gegner in der EU bei der Reform der Verwaltungsgerichte zurückgerudert. Nach dem Besuch der Richterdelegation in Budapest wird allerdings beklagt, dass ein im Mai eingebrachter Antrag des Nationalen Rats der Gerichtsbarkeit an das Parlament, die Präsidentin zu entheben, bisher erfolglos geblieben sei. Auch die schon lange geäußerten Empfehlungen, die Machtfülle des Nationalen Amts für die Gerichtsbarkeit zu reduzieren, seien bisher ungehört geblieben, wird zusammenfassend bedauert. All das passt in das allgemeine Bild. Kritiker werfen der Regierung und dem äußerst machtbewussten Orbán eine weitreichende Beschränkung der Medienvielfalt vor, ebenso eine Aushöhlung der Verfassung und die Diskriminierung von Minderheiten. Im Frühjahr dieses Jahres hat die Europäische Volkspartei die Mitgliedschaft von Orbáns Fidesz-Partei ausgesetzt.

In dem Report werden mehrere Punkte als problematische Entwicklungen aufgelistet. "Es häuften sich Fälle, in denen die Ernennungen beziehungsweise die Verweigerung der Ernennungen von vorgeschlagenen Kandidaten für die Leitung von Gerichten ohne substanzielle Begründungen erfolgten oder Besetzungsverfahren mit der Begründung, alle Bewerber seien ungeeignet, für nicht erfolgreich erklärt wurden. Stattdessen wurde dann interimistisch eine von der Präsidentin frei gewählte Person ernannt", wird kritisiert. Die im Jänner 2018 planmäßige Wahl des neuen Rats der Gerichtsbarkeit wurde zur Farce. Im April traten überraschend fünf der 15 Mitglieder und zwölf Ersatzmitglieder zurück. Es gebe Hinweise, dass dies aufgrund des Einflusses der Präsidentin des Nationalen Amts für die Gerichtsbarkeit oder durch Gerichtspräsidenten, die unter ihrem Einfluss standen, geschehen sei. Unter Berufung auf den Umstand, dass unter den zehn verbliebenen Mitgliedern kein Vertreter der Arbeitsgerichtsbarkeit sei, das Gesetz aber eine Vertretung auch dieser Sparte im Gremium vorsehe, erklärte die Präsidentin, dass der zu ihrer Kontrolle berufene Nationale Rat der Gerichtsbarkeit "illegal" sei. Sie stoppte die weitere Zusammenarbeit. Die Kür für Nachbesetzungen in dem Gremium setzte sie erst für 8. Oktober 2018 an. Bei diesen Wahlen nahmen die Gewählten offenbar nach Einflussnahme ihre Funktionen nicht an.