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Boris Johnson baut Regierung total um

Von Michael Schmölzer

Politik

Der neue Premier Johnson verspricht einen Brexit bis 31. Oktober "ohne Wenn und Aber".


London/Wien. Die britische Premierministerin Theresa May ging, Boris Johnson kam: Die Amtsübergabe am gestrigen Mittwoch erfolgte schnell. Rasch waren die Koffer gepackt, rasch hatte Downing Street 10 einen neuen Mieter. Dann begann der Kehraus auf Ministerebene: Führende May-Vertraute wie Finanzminister Philip Hammond gingen, neue Namen wurden genannt, doch zunächst war nichts offiziell.

In seiner Rede vor seinem neuen Amtssitz versprach der neue Premier eine Regierung der Tat. Das, so Johnson, gelte in erster Linie für den Brexit. Drei Jahre seinen entscheidungslos verstrichen, der Wille des Volkes sei nicht umgesetzt worden.

Das werde man ändern: "Die, die gegen Großbritannien wetten, werden ihr letztes Hemd verlieren", so Johnson. Es gäbe kein Wenn und Aber, die Briten hätten vom Warten die Nase voll, man werde bis zum 31. Oktober das Vertrauen in die Demokratie wiederherstellen und das Versprechen, das man den Menschen gegeben habe, erfüllen. Sollte es auf einen "No-Deal-Brexit" hinauslaufen, dann habe man immer noch das Extra von 39 Milliarden Pfund, die man dann nicht an die EU zahlen müsse.

Mays Abschiedsrede davor am gleichen Ort war beträchtlich kürzer. Sie dankte, flankiert von ihrem Gatten, allen Mitarbeitern und Beamten, die sich in den Dienst des Landes gestellt hätten. Aber allein könne man eben nichts ausrichten. In Zukunft wird die glücklose Ex-Premierministerin als Tory-Abgeordnete die Parlamentsbank drücken.

May und Johnson bei der Queen

May machte sich dann in ihrer Limousine auf den Weg zum Buckingham Palace, um der Queen formell ihren Rücktritt mitzuteilen. So will es das Protokoll. Die Queen hat insgesamt 13 Premierminister kommen und gehen gesehen - von Winston Churchill bis eben jetzt Theresa May. Mittlerweile ist die Monarchin 93 Jahre alt und Boris Johnson ist ihr Premier Nummer 14. Ob die Queen viel für ihn übrig hat, darf in Zweifel gezogen werden. Anmerken lässt sie sich nichts, wie es ihr Amt als Königin und ihre Würde verlangen.

Dann richteten sich alle Augen auf Boris Johnson, den unkonventionellen Nachfolger. Er machte der Queen in einem Jaguar seine Aufwartung und wurde umgehend mit dem Amt des Premiers und der Bildung einer Regierung betraut.

Johnson will den EU-Austritt notfalls auch ohne Abkommen. Doch bevor es dazu kommt, zog Schatzkanzler Hammond die Reißleine. Er erklärte seinen Rücktritt, weil er, wie er zuvor gemeint hatte, von Johnson nicht gefeuert werden wolle. Hammond und Johnson passen in der Tat nicht zusammen, der Schatzkanzler ist Anhänger des Deals, den Theresa May mit Brüssel ausverhandelt hat. Johnson vermittelt zumindest den Eindruck, als würde er über Leichen gehen und einen No-Deal-Brexit für sein Land in Kauf nehmen. Die Zahl der Beobachter, die das aber für eine reine Pose halten, wächst.

"No Deal" ist Variante

Für Ökonomen ist ein "No-Deal-Brexit" jetzt trotzdem zu einer wahrscheinlichen Variante geworden, wie etwa RBI-Chefökonom Peter Brezinschek ausführt. Auch wenn ein ungeregelter Brexit vor allem Großbritannien treffen würde: "Die Hoffnung ist, dass Boris Johnson die Risiken bewusst werden", so Brezinschek. Der Volkswirt glaubt, dass es zu neuen Verhandlungen kommen werde und dass beide Seiten Abstriche werden machen müssen.

Am Mittwochnachmittag wurde gerätselt, wen Johnson in sein Brexit-Team holen wird. Einem Insider zufolge war Dominic Cummings, der umstrittene Architekt der Kampagne von 2016, als enger Berater im Gespräch. Johnson und Cummings warben mit dem Argument für den Brexit, Großbritannien überweise wöchentlich 350 Millionen Pfund an Brüssel. Geld, das nach dem Austritt dem nationalen Gesundheitswesen auf der Insel zugutekommen könne.

Das Personalkarussell begann sich dann am Mittwochabend so richtig zu drehen: Im Finanzministerium ersetzte Sajid Javid Philip Hammond. Javid verließ das Innenministerium, um Priti Patel Platz zu machen. Und Im Außenministerium folgte Ex-Brexit-Minister Dominic Raab auf Jeremy Hunt. Aktueller Brexit-Minister blieb Stephen Barclay.

Vorrang für Hardliner

Generell wurde zunächst davon ausgegangen, dass Johnson die verfügbaren Posten in erster Linie an Brexit-Hardliner vergeben wird. Zu immerhin einem Drittel könnten die Posten an EU-freundliche Politiker gehen. Nach seiner Wahl zum Tory-Parteichef am Dienstag hatte Johnson versprochen, nicht nur die ganze Nation, sondern vor allem auch die Konservativen einen zu wollen.

In Brüssel glaubt ihm das wohl kaum jemand. Dort wird Johnson von den EU-Staats- und Regierungschefs mit Skepsis und Argwohn betrachtet. In der EU-Hauptstadt gilt er als Mann, der mit Unwahrheiten gegen die EU mobilmacht, gleichzeitig aber keine konstruktive Idee hat, wie ein Austritt Großbritanniens halbwegs erträglich über die Bühne gebracht werden könnte. Auf ein Entgegenkommen der EU darf Johnson deshalb nicht hoffen.

Möglich, dass der Newcomer in Downing Street 10 einknickt und den May-Deal, etwas neu verpackt, akzeptieren wird.

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