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Leise Hoffnung im Donbass

Von WZ-Korrespondentin Daniela Prugger

Politik

Eine Brücke ist der einzige Übergang zwischen der Ukraine und der selbsternannten Volksrepublik Luhansk. Präsident Selenskyj hat angekündigt, sie zu reparieren und den Konflikt in der Ostukraine zu beenden. Ein Lokalaugenschein.


Staniza Luhanska. "Luhansk ist Ukraine" steht auf einem Banner über der Straße, die durch das östlichste Gebiet des Landes führt, durch den Oblast Luhansk, wo die Felder in dieser Jahreszeit gelb vor lauter Sonnenblumen leuchten. Ausgebeulte Ladas holpern über die Schlaglöcher und werden von den Geländewagen der Hilfsarbeiter überholt, die immer weiter Richtung Osten fahren, mehrere Kontrollposten mit ukrainischen Polizisten und Beamten der Nationalgarde hinter sich lassen, bis sie am Rande des Dorfes Staniza Luhanska stehen bleiben.

Auf einer Verkehrsinsel steht in blau-gelben Buchstaben "Ukraine" geschrieben. Dahinter liegt ein Parkplatz, wo Honig, Obst und Eiscreme verkauft werden. Zapfsäulen erinnern an die Tankstelle, die es hier gab, bevor dieser Ort zur Grenze wurde mit einem Minenfeld nebenan. Hier befindet sich der einzige Übergang zwischen dem ukrainischen Oblast Luhansk und der abgespaltenen Volksrepublik Luhansk, die von prorussischen Separatisten kontrolliert wird.

Eine halb zerstörte Brücke verbindet die beiden Gebiete. Sie wurde im Jänner 2015 vermutlich durch Sprengstoff beschädigt. Seither klettern die Menschen über provisorische Treppen und Holzstützen, die im Winter nass und rutschig sind, egal ob mit Gehstock oder im Rollstuhl. Autos kommen keine durch. "Jeder, der einen gültigen Pass eines anerkannten Landes und eine Erlaubnis des Sicherheitsservices hat, kann die Brücke passieren", sagt Ihor Schewtschuk, 41 Jahre alt und Oberst beim staatlichen Grenzschutzdienst, als er an der Schlange vorbeimarschiert, in der ältere Frauen und Männer darauf warten, dass ihre Papiere kontrolliert werden. Ein Gehweg führt von der Passkontrolle weg, an einigen zerstörten Häusern aus dem Jahr 2014 vorbei und bis an den äußersten Rand des kontrollierten ukrainischen Staatsgebietes. Zwei Beamte sitzen in einem schattigen Zelt, dessen Wände aus Lamellenvorhängen bestehen, solche, wie man sie auch in einem Kühlhaus findet. Ein Stempel liegt vor ihnen auf dem Tisch, daneben döst ein Schäferhund. Mehr als 10.000 Menschen passieren diesen Ort jeden Tag. "Weiter können wir nicht gehen", sagt Schewtschuk. Hinter einem Zelt des Roten Kreuzes beginnt die sogenannte Grauzone, in der kein Soldat und keine Waffe erlaubt sind. "Dort hinten sieht man noch die ukrainischen Flaggen", sagt er und erzählt, dass sich die Truppen und die schweren Waffen von dort zurückgezogen haben.

13.000 Tote laut UNO

Dieser Prozess, der hier am 26. Juni begonnen hat, schürt Hoffnung auf eine Lösung des Konflikts, der seit fünf Jahren andauert und zu einer Art von Stellungskrieg geworden ist. Laut den Vereinten Nationen sind seit Kriegsbeginn mindestens 13.000 Menschen umgekommen. "Zum ersten Mal seit fünf Jahren tut sich etwas", sagt Jewgeni Maznew. Seit eineinhalb Jahren arbeitet er in Staniza Luhanska für die Organisation Norwegian Refugee Council und hilft Menschen, die vertrieben wurden. "Das hier ist der erste Ort, an dem ein Rückzug ohne Verstöße erfolgt."

Maznew selbst stammt aus der Stadt Luhansk und überquert die Grenze einmal im Monat, um seine Eltern zu besuchen. Er fährt am Freitag hin und am Sonntag zurück, und jedes Mal, sagt er, erscheint ihm der Ort fremder. Die Züge und die internationalen Banken funktionieren nicht mehr. Es sind weniger Autos auf der Straße. Die Menschen bezahlen mit der russischen Währung Rubel. Und die ukrainischen Produkte verschwinden langsam aus den Supermarktregalen. Deshalb kaufen viele, die die Grenze überqueren, in Stanyzja Luhanska Lebensmittel und Medikamente ein.

Etwa 70 Prozent der Menschen, die über die Grenze kommen, müssen sich in der Ukraine ausweisen, um ihre Rente zu erhalten. Darunter auch Nina Tkatschowa, eine 70-jährige Pensionistin, die gemeinsam mit ihrem Ehemann nach Staniza Luhanska gekommen ist. So wie es unter den älteren Frauen hier Mode ist, trägt Tkatschowa einen geblümten Rock und Sandalen. Sie sitzt auf einer Holzbank im Wartebereich neben ihrem Ehemann, vor dem eine Gehhilfe steht. "Ich muss hierherkommen, um meine Rente zu bekommen", sagt sie. Alle zwei Monate muss Tkatschowa über die Grenze, sonst werden ihr die 1975 Hrywna nicht mehr ausbezahlt. Umgerechnet sind das etwa 68 Euro.

Wiederaufbau geplant

Für ein Leben in der Ukraine würde dieses Geld reichen, sagt sie. Aber im Separatistengebiet sind die Preise deutlich höher, weil die Produkte aus Russland oder der Ukraine importiert werden müssen. Sie zeigt drei Schachteln mit Tabletten, Medikamente für sich und ihren Ehemann, der während des gesamten Interviews kein Wort sagt. "Er hatte vor einigen Jahren eine Hirnblutung", sagt sie. Trotzdem hat er keinen Anspruch auf einen Rollstuhlservice des ukrainischen Notdienstes. Direkt an der Grenze hat sich deshalb ein neues Geschäftsmodell entwickelt, bei dem starke Männer aus der Gegend ihren Service anbieten und für umgerechnet 10 Euro alte Menschen, die kaum selber gehen können, über die Grenze bringen. "Wir warten hier, weil mein Ehemann die Brücke nicht alleine überqueren kann", sagt Tkatschowa. "Wir warten auf diesen Mann dort, der ihn hinüberbringt." Dieser inoffizielle Transportdienst und die Medikamente kosten sie die Hälfte ihrer Pension.

Der neugewählte Präsident Wolodymyr Selenskyj kündigte beim Lokalaugenschein Anfang Juli in Gegenwart von EU-Ratspräsident Donald Tusk an, bald mit dem Wiederaufbau der Brücke zu beginnen. Seither gibt es immerhin eine Neuerung: Ein einziger Shuttle-Bus fährt einen Teil der Strecke bis zum kaputten Abschnitt der Brücke ab. Tkatschowa sagt, Selenskyj sei ihr Präsident, er habe den Bus eingeführt, weil er die vielen alten und kranken Menschen hier gesehen hat. Sie möchte, dass es wieder ruhig wird im Osten. Aber die Wunde in ihrem Land, sagt sie, sei groß.