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Kraftprobe zwischen Regierung und Unterhaus

Von Siobhán Geets

Politik

Eine Mehrheit der Abgeordneten will einen No-Deal-Brexit verhindern. Die Frage ist wie - und die Zeit drängt.


London. Der Zorn über Boris Johnson wächst: Mehr als 1,5 Millionen Menschen unterschrieben bis Donnerstagabend eine Onlinepetition gegen das Vorhaben des Premiers, das Parlament in die Zwangspause zu schicken. In London und anderen Großstädten gingen Tausende auf die Straße, vor dem Parlament und dem Regierungssitz forderten Demonstranten ein Ende des "Putsches". Fürs Wochenende sind Großdemonstrationen geplant.

Labour-Chef Jeremy Corbyn wirft Johnson vor, einen No-Deal-Brexit zu erzwingen. Der Premier hat deutlich gemacht, sein Land am 31. Oktober ohne Abkommen aus der EU zu führen, falls Brüssel sich weiterhin weigert, den Austrittsvertrag wieder aufzuschnüren. Knackpunkt ist der Backstop, London will die Notfallsklausel zur Offenhaltung der Grenze in Irland aus dem Abkommen streichen. Doch die restlichen Mitgliedstaaten halten daran fest. Damit steuert das Land auf einen No-Deal-Brexit zu - den eine Mehrheit der Abgeordneten im britischen Parlament verhindern will.

Ein Gesetz soll Johnson stoppen

Möglich wäre das etwa durch ein Misstrauensvotum gegen Johnson. Findet Corbyn dafür kommende Woche eine Mehrheit, will der Oppositionsführer Premier einer Übergangsregierung werden und um eine Verschiebung des Brexit ansuchen. Dass Corbyn damit durchkommt, halten die meisten Beobachter für unwahrscheinlich. Zwar verfügt die Regierung im Parlament über lediglich eine Stimme Mehrheit - und proeuropäische Tory-Rebellen gibt es genug. Doch ziehen sie es vor, den drohenden No-Deal-Brexit mit rechtlichen Mitteln zu blockieren.

So will eine parteiübergreifende Gruppe von Abgeordneten im Eiltempo ein Gesetz auf den Weg bringen, das Johnson zwingt, um eine Brexit-Verschiebung anzusuchen. Greifen würde es für den Fall, dass es dem Premier nicht gelingt, bis zur Rückkehr des Parlaments am 14. Oktober ein neues Austrittsabkommen mit der EU zu verhandeln. Dass sich Brüssel im letzten Moment darauf einlässt, ist äußerst unwahrscheinlich. Immerhin hat auch Johnsons Vorgängerin Theresa May versucht, eine Alternative für den Backstop zu finden - und ist gescheitert. Dabei hatte sie deutlich mehr Zeit als die zwei Monate, die Johnson bis zum Brexit bleiben.

Laut der am Donnerstag zurückgetretenen schottischen Tory-Chefin meint er es dennoch ernst. Unter vier Augen habe Johnson ihr versichert, dass er an einem Deal mit Brüssel arbeite und zuletzt auch erste Erfolge erzielen konnte, so Ruth Davidson. Die andere Seite dürfte das freilich anders sehen. London habe keine neuen Ideen zum Backstop auf den Tisch gelegt, sagte ein EU-Diplomat zum "Guardian".

Wahlen erst nach dem Brexit

Was geschieht, falls Johnson ein mögliches Misstrauensabkommen verliert, ist alles andere als gewiss. Der Premier werde auch in diesem Fall nicht zurücktreten, sagte ein hochrangiger Regierungsvertreter zum "Guardian". "Den Termin für die Neuwahlen bestimmen wir. Wir wollen zwar keine Wahlen, aber wenn sie sein müssen, dann werden sie nach dem 31. Oktober stattfinden."

Es läuft also auf einen Kampf zwischen Regierung und Parlament hinaus. Am Dienstag kommen die Abgeordneten wieder zusammen, am 12. September soll das Parlament dann für ein Monate geschlossen werden. Den Abgeordneten bleiben nur wenige Tage, um Johnson zu stoppen.

Auf die von allen Seiten einprasselnde Kritik reagierte der Premier kühl. Die Abgeordneten hätten "reichlich Zeit" für ihre Debatten über den EU-Austritt. Laut Johnson dient die Sitzungspause der Vorbereitung eines "mutigen und ambitionierten Regierungsprogramms für den Neustart unseres Landes nach dem Brexit".

So richtig glauben wollen das die Wenigsten. Begeistert von Johnsons Offensive zeigte sich nur einer: Donald Trump. Auf Twitter überhäufte der US-Präsident Johnson mit Lob: "Boris ist genau das, was UK braucht."