Zum Hauptinhalt springen

Landtagswahl in Sachsen: In der "Scheindemokratie"

Von Alexander Dworzak aus Sachsen

Politik

Wie umgehen mit Rechtspopulisten? Im konservativen Sachsen grenzt sich die CDU vor der Landtagswahl am Sonntag von der AfD ab. Diese wähnt sich in diktatorischen Verhältnissen.


Chemnitz/Dresden/Plauen. Wer Daniel H.s gedenken möchte, läuft Gefahr, über den ihm gewidmeten Stein zu trampeln. "Komm in drei Stunden wieder, dann ist er geputzt und du kannst ein schöneres Bild machen", sagt ein Mann, der plötzlich auftaucht und sich als Freund von Daniels Ex-Frau vorstellt. Ein rechteckiges Schild erinnert an den Verstorbenen, eingelassen zwischen den Betonplatten am Gehsteig. Name, Friedenszeichen und Sterbedatum, mehr ist nicht eingraviert. Daniel H. kam am 26. August vergangenen Jahres an dieser Stelle nahe dem Zentrum im sächsischen Chemnitz ums Leben. Er wurde nach einem Streit mit Asylwerbern erstochen.

Weniger der Tod des 35-Jährigen dominierte die Schlagzeilen, es waren die darauffolgenden Geschehnisse. Rechtsextreme riefen zu einem Trauermarsch auf. Der eskalierte, Teilnehmer zeigten den Hitlergruß. Der oberste Verfassungsschützer Deutschlands, Hans-Georg Maaßen, widersprach Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass es Hetzjagden auf Ausländer gegeben habe. Und bei einer weiteren Kundgebung übte die laut deutschem Verfassungsschutz rechtsextremistische Gruppe "Pro Chemnitz" den Schulterschluss mit der Pegida-Bewegung und der AfD. Da war es wieder, das Bild vom Osten der Bundesrepublik als "Dunkeldeutschland".

Dieser Tage wird es abermals gezeichnet. Denn bei der Landtagswahl in Brandenburg am Sonntag könnte die AfD stärkste Kraft werden. In Sachsen wird ebenfalls am Wochenende gewählt, dort liegen die Nationalpopulisten bei 25 Prozent, nur hinter der CDU. Für die Christdemokraten stellt sich in Sachsen noch drastischer als im Bund die Frage, wie sie Wähler von der AfD zurückgewinnen kann.

Rechtsextremismus gilt nun als größtes Problem

Dabei ist der Freistaat schwarze Erbpacht gewesen. Seit der Wiedervereinigung 1990 stellt die CDU den Ministerpräsidenten. Eine Wagenburg-Mentalität schlich sich ein, sie fand ihren Höhepunkt unter dem Ende 2017 abgetretenen Regierungschef Stanislaw Tillich. Dessen Nachfolger Michael Kretschmer tourt hingegen seit Amtsantritt durch das 4,1-Millionen-Land. Der 44-Jährige brach auch mit der Verharmlosung von Rechtsaußen durch die CDU. "Der Sachse ist immun gegen Rechtsradikalismus", lautete das Diktum des ersten Nach-Wende-Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf. "Rechtsextremismus ist unser größtes Problem", sagt Kretschmer nun. Der Verfassungsschutz zählt dort 2800 Rechtsextremisten. Bei entsprechenden Gewalttaten liegt Sachsen deutschlandweit an zweiter Stelle.

Beständige rechtsextreme Strukturen und die Scheuklappen der CDU begünstigten die NPD. Zehn Jahre saß die in Teilen neonazistische Partei im Landtag, bis 2014. Der Einbruch kam mit dem Aufstieg der AfD. Ministerpräsident Kretschmer hat auch hier eine klare Linie - die nicht allen Parteifreunden gefällt: "Hinter der Biedermannfassade der AfD stehen furchtbare Dinge. Die halten Reden wie früher die NPD." Eine Koalition mit der AfD schließt er aus.

Sachsen, Polen, Ungarn

Für Alexander Gauland ist die CDU hingegen "heute rot-grün wie alle Blockparteien". So wurden in der DDR Parteien genannt, die nicht in Konkurrenz zur allmächtigen SED standen. Die Stoßrichtung des AfD-Vorsitzenden: Wir sind die einzig demokratische Kraft. Vor rund 200 Anhängern in Chemnitz spricht Gauland von "Fassadenpluralismus" und "Scheindemokratie". Sachsen sei aber immun "gegen die Bevormundung, ob aus Moskau, Berlin oder Brüssel". Und eine "Herzkammer des Widerstandes, gemeinsam mit Polen und Ungarn".

Eine Gedenktafel auf dem Gehsteig erinnert in Chemnitz an den 2018 ermordeten Daniel H.
© Alexander Dworzak

Gauland muss es nicht aussprechen, das Publikum weiß, dass er die Migrationspolitik in der EU meint. In dieser traditionell konservativen Ecke Deutschlands ist der Kurs von Angela Merkel stets kritisch beäugt worden, auch von der eigenen Partei. "2015 war schwierig, vor allem, wie man darüber gesprochen hat", sagt Michael Kretschmer in Dresden, ohne Merkels "Wir schaffen das" in den Mund zu nehmen. "Aber es ist vier Jahre her", bemüht sich der Ministerpräsident um eine Zukunftsperspektive, die integrieren und konsequent abschieben lautet.

Für die AfD ist der Blick zurück auf die Geschehnisse seit Sommer 2015 weiter Dreh- und Angelpunkt ihres Programmes - und Erfolges. "700.000 abgelehnte Asylwerber im August 2018 in Deutschland - was für ein Tollhaus ist dieses Land unter dieser Regierung", ruft Alexander Gauland seinen Sympathisanten zu.

Ostdeutschland war lange eine ethnisch homogene Gesellschaft. In Sachsen waren im Jahr vor der Flüchtlingskrise verschwindend geringe 2,9 Prozent der Bürger Ausländer. Bis Ende 2018 ist der Anteil auf knapp fünf Prozent gestiegen.

"Mein Nachbar hat mich in den ersten sechs Monaten nicht einmal gegrüßt", erzählt Mohammad Al Ameer. "Er sagte, er mag keine Ausländer." Der Syrer floh 2014 mit seiner Frau und den drei Kindern nach Deutschland. Hier lebt sein Bruder seit langem. Er ist Kieferchirurg, Mohammad Al Ameer hat einen Masterabschluss in Finanzwissenschaft. Nun pendelt er nicht im Anzug zwischen Damaskus und Beirut, sondern steht in T-Shirt und kurzer Hose in seinem Chemnitzer Imbiss "Yasmin". An der Wand prangt über die gesamte Länge: "Syrien ist die Wiege der Religionen und der Menschheit. In Syrien wurde das älteste Alphabet entdeckt. Jahrtausendelang war es ein Handelzentrum und brachte viele Hochkulturen hervor."

Der Syrer Mohammad Al Ameer hat sich in Chemnitz eine neue Existenz aufgebaut.
© Alexander Dworzak

"Ich komme aus einem zivilisierten Land"

"Ich wollte zeigen, dass ich aus einem zivilisierten Land komme", erläutert Al Ameer. Sogar der Nachbar sei mittlerweile freundlich, weil er sehe, dass der Syrer hart arbeite. Solche Positivbeispiele kommen in den Erzählungen der AfD nicht vor. Alles dominiert die Warnung vor der schleichenden Islamisierung auch in Sachsen - wo laut der Islamwissenschafterin Verena Klemm nur 1,43 Prozent der Bevölkerung Muslime sind.

Gefahren und Bedrohungen einzuordnen und einzudämmen war Hans-Georg Maaßens Aufgabe. Er stand dem Inlandsgeheimdienst vor, als ein islamistischer Terrorist 2016 erst einen Lkw-Lenker tötete und danach mit dem Fahrzeug in einen Weihnachtsmarkt in Berlin raste. Elf weitere Menschen kamen dabei ums Leben. Als Maaßen wegen politischer Mutmaßungen zu Chemnitz zum Ballast für die Regierung wurde, berief ihn Innenminister Horst Seehofer ab. Heute ist Maaßen Mitglied der Werte-Union; laut Selbstbild der "konservative Flügel" der Union. Maaßen sollte eine Scharnierfunktion zwischen Anhängern von AfD und CDU bilden. Nach Kritik von Kretschmer zieht er sich später aus dem Wahlkampf zurück.

Maaßen referiert knochentrocken

Vor dem Disput machte Maaßen in Plauen Station. "Sie sind ein Held", ruft ihm ein Mann auf dem Weg zum Veranstaltungssaal zu. Dort ist die Stimmung weniger euphorisch. Knochentrocken referiert der ehemalige Spitzenbeamte über die Bedrohungslage in Deutschland. Sein zentrales Anliegen sind die Abschiebungen: 23.000 habe es zwar 2018 gegeben, aber weitere 30.000 seien gescheitert. "Das muss mehr werden, das können wir auch schaffen", sagt er in Anspielung auf Merkels Satz. Doch die Pointe zündet nicht bei den Gästen.

Sie applaudieren erst, als Maaßen von falsch verstandener Toleranz gegenüber Migranten spricht. "Wir müssen sagen, dass wir unser Land lieben. Wir sind bereit, Euch aufzunehmen. Leistet Ihr Euren Beitrag. Stattdessen haben wir keinen Stolz. Wie kann man da Vorbild sein?"

Patriotismus und fehlende Wertschätzung

Jörg Schmidt lauscht den Worten Maaßens. "In der DDR sind alle Spuren verboten worden, die mit Identität und Kultur zu tun haben, sogar Brauchtumsvereine", erzählt der CDU-Landtagskandidat später. Für SPD, Linkspartei und Grüne seien das schon Vorstufen zum Nationalismus. Er wünsche sich einen "gesunden demokratischen Patriotismus". Den Appell von CDU-Mann Schmidt in Plauen formuliert ein AfD-Sympathisant in Chemnitz als Vorwurf: "Warum darf ich nicht stolz auf Deutschland sein?"

Fehlende Wertschätzung ist für Rainer Irmen zentral für den Aufstieg der AfD. "95 Prozent der Menschen im Osten mussten mit der Wende ihren Lebensplan völlig verändern. Die Anerkennung darüber ist in Vergessenheit geraten. Unter den AfD-Wählern finden sich daher viele Enttäuschte", sagt der Unternehmensberater, der vor 30 Jahren aus dem Rheinland nach Sachsen gekommen ist.

Der umgekehrte Weg von Ost nach West war die Regel, vor allem Junge und Qualifizierte gingen ihn, brachte doch die Wende neben Freiheit auch Massenarbeitslosigkeit. "Die Jahre nach der Wiedervereinigung waren eine systematische Deindustrialisierung der DDR", beklagte Hiltrud Werner in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Die Vorständin bei Volkswagen stammt aus dem Osten, wie nur drei weitere von 195 Vorständen der im DAX notierten Konzerne. Werner kritisiert, Abenteurer aus dem Westen hätten "ihren Reibach gemacht" - und so langfristig die Saat für die AfD gelegt.

Anstatt aber nur über den Osten zu diskutieren, versuchen einige Chemnitzer, miteinander ins Gespräch zu kommen. Beim "Festival der Meinungsverschiedenheit" sollen sie sich auf 40 Tische verteilt bei Kaffee und Keksen austauschen. Auch bewerben lokale Kaufleute Chemnitz als "weder grau noch braun". Sie bemühen sich um einen optimistischen Grundton. Ein paar Kilometer nördlich schließt Alexander Gauland seine Rede mit den Worten: "Bleiben Sie freiheitlich, und bleiben Sie deutsch."