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Endspiel um die große Koalition in Deutschland

Von Alexander Dworzak

Politik

Die SPD fragt sich, ob sie in der Regierung bleiben und wer die Partei führen soll. In der CDU ist die Vorsitzende unter Druck.


Berlin/Wien. Den Schaden hat die SPD bereits seit Jahren, den Spott ebenfalls. Insofern ist es konsequent, dass sich ein Provokateur vom Schlage Jan Böhmermanns nun um den Vorsitz der deutschen Sozialdemokraten bewirbt. "Nein, das ist kein Witz", beteuert der Satiriker treuherzig. Als Qualifikation führt Böhmermann an, er habe bisher weder Hartz-IV-Gesetze beschlossen noch einem Angriffskrieg - gemeint ist das Nato-Bombardement im Kosovo 1999 - zugestimmt. Beides passierte unter Gerhard Schröder. Der ist umstritten, darf sich aber immerhin als bisher letzte Person SPD-Kanzler (bis 2005) bezeichnen lassen.

Heute sind die Genossen vom Berliner Kanzleramt weiter entfernt als je zuvor. Nur 14 Prozent würden ihr Kreuz bundesweit bei der SPD machen. Mit einem einstelligen Ergebnis muss sie bei der Landtagswahl in Sachsen am Sonntag rechen. Zeitgleich in Brandenburg wird die SPD zwar bei mehr als 20 Prozent landen, könnte aber zehn Prozentpunkte gegenüber 2014 einbüßen.

Die Niederlagen, garniert mit einem Minus bei der Landtagswahl in Thüringen Ende Oktober, werden die Gegner von Schwarz-Rot im Bund als weiteren Beleg dafür heranziehen, dass die SPD die Regierung verlassen muss. Ein Vehikel dazu trägt den sperrigen Namen "Revisionsklausel": Nach Halbzeit der Regierung wird die bisherige Arbeit beurteilt.

Das Glück der Koalitionsbefürworter ist die derzeitige Schwäche der SPD. Wenn sie aus der Regierung ausscheidet, stehen Neuwahlen ins Haus. Und das ist angesichts der Umfragewerte eine gefährliche Drohung. Die Sozialdemokraten wären höchstens Angela Merkel los, die mit ihrem Mitte-Kurs Wähler von der SPD loseiste. Die Kanzlerin möchte bis zum Ende der Legislaturperiode 2021 durchdienen und danach in Politpension gehen.

Inhalte und Erzählung

Wer die SPD anführt und ob sie in die Opposition geht, entscheidet sich Anfang Dezember. Die neue Führung braucht starke Nerven, Ausdauer, Durchsetzungsfähigkeit und eine Strategie, mit welchem Programm die älteste Partei Deutschlands wieder auf die Beine kommt. Und sie muss Inhalte auch in eine massentaugliche Erzählung gießen. Wenig prädestiniert scheint der prominenteste Bewerber: Finanzminister Olaf Scholz. Er tritt mit der Landtagsabgeordneten Klara Geywitz an.

Scholz meint, die Koalitionsfrage werde bei Suche nach dem SPD-Vorsitzenden "nicht im Mittelpunkt" stehen. Um die Kritiker zu besänftigen, arbeitet die Bundesregierung mit Hochdruck an der Umsetzung des Koalitionsvertrages. Von einer "rekordverdächtigen Halbzeitbilanz" schreibt die Bertelsmann-Stiftung in einer Analyse, mehr als 60 Prozent der 296 Koalitionsversprechen seien umgesetzt oder angepackt worden. Zuletzt beschloss das Kabinett, dass der Solidaritätszuschlag für 90 Prozent der Bürger ab 2021 entfällt. Hier setzte sich die SPD durch.

Im September sollen zwei große Hürden genommen werden. Die SPD pocht auf eine "Grundrente" - ein Pensionsaufschlag für jene, die mindestens 35 Jahre für geringen Lohn gearbeitet oder sich um Angehörige gekümmert haben. Einer der Knackpunkte: Die SPD will keine Bedürftigkeitsprüfung. Und bis 20. September soll ein Klimapaket stehen. Ziel ist, dass Deutschland seine Klimaschutzziele 2030 erreicht und 2050 klimaneutral wird.

Der Klimapolitik spielte im Koalitionsvertrag keine große Rolle. Dabei gestanden die Regierungspartner auch ein, dass sie die Emissionsziele bis 2020 nicht schaffen. Bis dahin sollte Deutschland seinen Treibhausgasausstoß gegenüber dem Jahr 1990 um 40 Prozent reduzieren. Tatsächlich sind es bisher nur rund 32 Prozent. Doch Klimapolitik hat heute einen anderen Stellenwert als vor eineinhalb Jahren. Die Grünen liegen bei 23 Prozent, während Union und SPD ihre jahrelangen Versäumnisse auf den Kopf fallen.

"Nichts in Stein gemeißelt"

Nachdem die CSU im Landtagswahlkampf 2018 versucht hatte, Sympathisanten von der AfD zurückzugewinnen - und damit viele Bürgerlich-Liberale an die Öko-Partei verlor -, setzen die Christsozialen nun auf die grüne Welle. Neuester Vorschlag: Sie wollen Flugtickets, die weniger als 50 Euro kosten, mit einer Strafsteuer belegen. "Neun-Euro-Tickets für Flüge in Europa haben weder mit Marktwirtschaft noch mit Klimaschutz etwas zu tun", sagte Alexander Dobrindt, Chef der CSU-Bundestagsabgeordneten, am Freitag zur "Bild". Das Gegenstück bei den Konservativen ist Sachsens CDU. Ministerpräsident Michael Kretschmer kämpft darum, dass der geplante Kohleausstieg 2038 nicht vorverlegt wird. Dabei hat er sowohl die betroffene, strukturschwache Region als auch auf die AfD im Blick.

Das Ausrinnen der Union nach links und rechts, Richtung Grüne und AfD zu verhindern, ist zentrale Aufgabe der konservativen Parteivorsitzenden. Die Zweifel an CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer häufen sich jedoch. Die 57-Jährige siegte im Dezember 2018 knapp gegen den konservativeren Friedrich Merz. "AKK" manövrierte sich in den vergangenen Monaten ohne Not in Bedrängnis, sei es mit ihrer unsouveränen Entgegnung auf die Kritik des YouTubers Rezo an der CDU oder indem sie über den Parteiausschluss des früheren Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen sinnierte.

An AKKs Parteivorsitz wird derzeit zwar nicht gerüttelt, aber an der Kanzlerkandidatur. "Nichts ist in Stein gemeißelt, viel Bewegung drin", sagte Ministerpräsident Kretschmer bei einer Wahlkampfveranstaltung. Vielleicht bringt sich dann wieder Jan Böhmermann ins Spiel.