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AfD-Wähler, besorgter Bürger zweiter Klasse

Von Alexander Dworzak

Politik

Mit den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg haben die Nationalpopulisten die Linke als "Stimme des Ostens" Deutschlands vollends abgelöst.


Dresden/Potsdam/Wien. 23,5 Prozent in Brandenburg, sogar 27,5 Prozent in Sachsen - das beste Ergebnis, das die AfD je bei einer Landtagswahl erzielt hat. Nach den beiden Wahlgängen am Sonntag werden die guten Nachrichten für die deutschen Nationalpopulisten nicht abreißen: Bei der Landtagswahl in Thüringen Ende Oktober kann die AfD abermals mit mehr als 20 Prozent rechnen. Mit Ausnahme der Bundeshauptstadt Berlin sind die Ost-Bundesländer mittlerweile blaue Bastionen. Und das nur sechs Jahre nach Parteigründung.

Dafür sind rechtsnationale Wähler und die schwammige Abgrenzung führender AfD-Politiker zum Rechtsextremismus mitverantwortlich. Bereits 2014, vor Aufkommen des Flüchtlingsthemas, erreichte die AfD in drei ostdeutschen Bundesländern knapp oder mehr als zehn Prozent.

Vor allem aber findet sich im Osten ein außergewöhnlich großes Protestwählerpotenzial. Diese Personen suchen ein Ventil, verlangen aber oftmals keine Sachlösungen. In der Regel landen diese Stimmen bei Kleinparteien, die dann nicht den Einzug in die Parlamente schaffen. Zwischen Elbe und Oder war diese Klientel ein Garant für den Erfolg der Linkspartei, die sich als Anwalt der Ostdeutschen inszenierte. Nun hat sie in der AfD einen neuen Vertreter. Die Linkspartei verlor in Sachsen 8,5 Prozentpunkte und landete bei nur mehr 10,4 Prozent. Kein Wählerstrom weg von ihr war größer als jener zur AfD.

Protestvotum der ehemaligen Nichtwähler

Auch schaffte die AfD, woran die etablierten Parteien scheitern: Sie bringen frühere Nichtwähler scharenweise wieder zu den Urnen zurück. 241.000 waren es in Sachsen, fast dreimal so viel wie ehemalige CDU-Wähler, die ins blaue Lager wechselten. Wer zurück an die Wahlurne kommt, wählt oft Protest. Ebenso in Brandenburg, wo die AfD fast doppelt so viele Stimmen von ehemaligen Nichtwählern bekam wie von früheren Anhängern von CDU, SPD, Linkspartei, Grünen und anderen Parteien zusammengerechnet.

Im Jubiläumsjahr des Mauerfalls zündete die AfD-Forderung nach einer "Wende 2.0", eine Gleichsetzung der diktatorischen DDR mit der heutigen Bundesrepublik. 30 Jahre nach der Wende und 1,6 Billionen Euro an öffentlichen Geldern für den "Aufbau Ost" später stagniert die Wirtschaftsleistung bei 70 Prozent des gesamtdeutschen Niveaus, rund 30 Prozent der Ost-Bürger arbeiten im Niedriglohnsektor.

Wer sich um seine Zukunft sorgt, wählt AfD. Das ergaben Befragungen im Auftrag der ARD. Acht von zehn ihrer Anhänger in Brandenburg bejahen die Befürchtung, das Leben werde sich zu stark verändern - bezeichnenderweise liegen Wähler der Linkspartei an zweiter Stelle. Sogar 92 Prozent der AfDler sorgen sich vor einem zu starken Islam, obwohl nicht einmal drei von 1000 Brandenburgern Muslime sind.

Die AfD ist im Ostenkein Übergangsphänomen

Die AfD trifft aber auch den ostdeutschen Nerv, wenn es um das Gefühl der Vernachlässigung geht. Es ist weitverbreitet, zwei Drittel aller befragten Sachsen und knapp 60 Prozent der Brandenburger halten sich für Bürger zweiter Klasse. Gleich 78 Prozent der sächsischen und 77 Prozent der brandenburgischen AfD-Wähler schließen sich dieser Meinung an. Und wie bei den Zukunftssorgen fühlen sich Sympathisanten der Linkspartei am zweithäufigsten zweitklassig behandelt.

Die Landtagswahlen zeigen aber auch, dass die AfD kein Übergangsphänomen ist, sondern bereits tief vor Ort verwurzelt ist. Bei den Erststimmen, mit denen die Wähler die Direktmandate vergeben, gewann sie in Brandenburg 15 der 44 Wahlkreise. Im Westen des Bundeslandes dominiert die SPD, die AfD hat fast alle Wahlkreise an der deutsch-polnischen Grenze für sich entschieden. Darunter auch den Wahlkreis Frankfurt/Oder, der 2014 an die Linkspartei ging.

Noch dramatischer ist die Entwicklung für die CDU in ihrer einstigen Hochburg Sachsen. Vor fünf Jahren gingen 59 der 60 Wahlkreise an die Konservativen. Nun sind es 41, die AfD errang auch hier 15 Mandate. Erstmals konnten sich die Grünen zwei Wahlkreise sichern. Wie im Bund kämpft CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer also nicht nur gegen Rechts, sondern muss das Abwandern bürgerlich-liberaler Wähler eindämmen.

Kretschmer hatte die Öko-Partei im Wahlkampf mehrfach kritisiert, nun wird er mit ihr zusammenarbeiten müssen. Da der bisherige Koalitionspartner SPD abgestürzt ist und die CDU nicht mit AfD und Linkspartei koaliert, bleibt dem Ministerpräsidenten nur Schwarz-Rot-Grün. Eine solche "Kenia-Koalition" oder Rot-Rot-Grün kommen in Brandenburg rechnerisch infrage.

Der Nordwesten alsweißer Fleck der Blauen

In Sachsen hat Kretschmer die rigorose Abschiebung abgelehnter Asylwerber betrieben. Konservative fürchen, die Grünen könnten als Koalitionspartner einen Kurswechsel fordern. Die "Werte-Union" von CDU/CSU warnt bereits vor den "linksradikalen Grünen" und will eine Minderheitsregierung.

Die AfD bietet sich derweil als Koalitionspartner an und will so groß werden, bis man rechnerisch nicht mehr an ihr vorbeikommt. Das Gegenstück zum Osten bildet dabei Deutschlands Nordwesten. In Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein lag die AfD bei Landtagswahlen deutlich unter jenen 12,6 Prozent bei der Bundestagswahl 2017. Dort schaffte sie es nicht, mit Asyl, Migration und Integration die Debatte zu prägen. Erfolge der AfD passieren also nicht zwangsläufig. Aber wenn sie im bevölkerungsstarken Westen reüssiert, steht Deutschlands Parteienlandschaft kopf.