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Zusammenkommen statt Zwangsbeglücken in der EZB

Von Konstanze Walther

Politik

Hat die studierte Juristin Lagarde das Zeug für den Chefposten bei der Europäischen Zentralbank? Ja: Denn die Mittel der Geldpolitik sind bald ausgeschöpft, nun gilt es, die nationalen Regierungen an Bord zu holen.


Brüssel/Frankfurt. Die Europäische Zentralbank (EZB) ist inzwischen 21 Jahre alt. Und doch hat sie erst drei Präsidenten an ihrer Spitze gehabt: Zuerst war es der Niederländer Wim Duisenberg. Dann kam der Franzose Jean-Claude Trichet. Und schließlich der - noch - amtierende Italiener Mario Draghi.

Mit November rückt eine neue Person an die Spitze der EZB: die 63-jährige Französin Christine Lagarde. In doppelter Hinsicht ein Novum: Es ist nicht nur erstmals eine Frau. Sondern auch erstmals jemand ohne Notenbank-Erfahrung.

Natürlich kann Lagarde auf einen reichen Erfahrungsschatz zurückgreifen: Sie war Finanzministerin in Frankreich und war nun knapp acht Jahre lang die Direktorin des Internationalen Währungsfonds.

Puristen bemängeln bei der Juristin nun ihren fehlenden Background in Wirtschaftswissenschaften (Duisenberg und Draghi hatten Doktortitel in Ökonomie, Trichet belegte Wirtschaft zumindest ein Jahr lang auf der Uni mit - als Maîtrise). Alle drei Männer standen als Gouverneure den Zentralbanken ihrer jeweiligen Länder vor.

Hat denn Lagarde genug eigenen Kopf, genug eigene wirtschaftliche Überzeugung, um die Führung der EZB zu übernehmen, raunt es durch die Gänge diverser Institutionen.

Aber darauf kommt es bei der EZB schon lange nicht mehr an. Das findet zumindest Grégory Claeys vom Brüsseler Thinktank Bruegel. "Das EZB-Gebäude ist randvoll mit extrem erfahrenen Ökonomen mit einem Doktortitel. Ich glaube, es reicht völlig, intelligent zu sein und sich auf ein sehr gutes Team verlassen zu können. Lagarde hat beim IWF gezeigt, dass sie das kann", sagt Claeys im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

Claeys, der selbst Volkswirt ist und das Fach auch an Universitäten unterrichtet, geht sogar noch einen Schritt weiter: Seines Erachtens sei es "viel wichtiger, diplomatische und politische Fähigkeiten zu haben, als Akademiker in Geldpolitik zu sein". Denn in der Eurozone reden eben viele Länder mit.

Der Charme und die diplomatischen Fähigkeiten Lagardes werden ihr sogar von ihren Kritikern eingeräumt. Und mit Gespür für Verbindlichkeit wird Lagarde als EZB-Präsidentin auf zwei Ebenen arbeiten. Sie wird die EZB bei der Eurogruppe und dem Ecofin vertreten - dem turnusmäßigen Treffen der Wirtschafts- und Finanzminister der Euroländer beziehungsweise aller EU-Mitgliedsländer. "Die EZB muss den Finanzministern der Eurozone klarmachen: ‚Wir haben fast keine Munition in der Geldpolitik mehr.‘"

EZB kann allein nur noch die vorhandenen Mittel steigern

Der Leitzins in der Eurozone liegt seit März 2016 bei 0,0 Prozent. Für kurzfristig geparktes Geld von Banken gibt es Strafzinsen. Und seit 2015 wird mit dem Ankauf von Staatsanleihen die Geldmenge sukzessive ausgeweitet. All das, um die Konjunktur am Leben zu halten. Doch so recht will diese nicht in Schwung kommen. Bester Indikator: Die Inflation in der Eurozone kommt nicht vom Fleck. Eigentlich peilt die EZB knapp zwei Prozent an. Doch davon sind wir derzeit weit entfernt: Die Inflation in der Eurozone verharrt derzeit auf dem tiefsten Stand seit mehr als zweieinhalb Jahren. Im August lag sie bei 1,0 Prozent. Die Kerninflation, die schwankungsanfällige Komponenten wie Energie ausklammert, blieb bei 0,9 Prozent.

Die EZB steht mit ihrer Geldpolitik mit dem Rücken zur Wand. Sie kann nur mehr vom Bisherigen anbieten: Leitzinsen hinunter, Geldmengen ausweiten. Für alles andere bräuchte man den Rückhalt der nationalen Regierungen, die stützende Wirtschaftsprogramme beschließen müssen. "Lagarde muss den Ministern deutlich sagen: ,Wenn wir eine Rezession haben, dann müsst ihr endlich handeln.‘ Und dazu wird sie ihr ganzes Geschick brauchen", sagt Claeys. Draghi hatte noch mehr Spielraum.

Auch innerhalb der EZB wird Lagarde ihren Charme benötigen: Beschlüsse fasst der EZB-Rat als Gremium. Dort sind nicht weniger als 19 Zentralbank-Gouverneure sowie sechs Mitglieder des Direktoriums vertreten. In der Theorie ist nur eine Mehrheit für die Beschlussfassung notwendig. In der Praxis wurde immer nach dem größtmöglichen Konsens gestrebt. Bis dann die Krise kam. "Draghi musste bei den Mitteln der unkonventionellen Geldpolitik oft auf eine eher knappe Mehrheit zurückgreifen. Damit sind ein paar Länder immer im Hintertreffen und lehnen dann die EZB-Politik ab", sagt Claeys. Das war im Fall Deutschlands deutlich zu sehen.

Für Claeys ist es daher von zentraler Bedeutung, dass Lagarde alle Ratsmitglieder ins Boot holen kann. Denn sobald eines ausschert und über die Medien kundtut, dass diese oder jene Entscheidung bald gestoppt werden müsse, mindert das den erwünschten geldpolitischen Effekt. Denn dann wissen die Marktteilnehmer, dass sich das Blatt bald wieder wenden kann - und würden das von der Europäischen Zentralbank erwünschte Verhalten diesfalls nicht an den Tag legen.

Kritiker der EZB-Politik war etwa der mächtige Präsident der Deutschen Bundesbank, Jens Weidmann, der sich in der Vergangenheit oft gegen die lockere Geldpolitik ausgesprochen hat.

"Was man über Draghi so hört, ist, dass sein Management-Stil eher ‚vertikal‘ war", sagt Claeys. Ein Euphemismus für allein getroffene Anordnungen. Lagarde hingegen scheine eher für Konsens zu stehen, "das hoffe ich zumindest für die EZB", sagt Claeys.

Am Mittwoch hat sich Lagarde vor dem Wirtschafts- und Währungsausschuss des EU-Parlaments in Brüssel für die Fortsetzung der lockeren Geldpolitik ausgesprochen. Die Inflation sei zu niedrig und liege unter der Zielmarke. Lagarde sehe sich selbst auf einer Linie mit dem EZB-Rat, sagte sie. Natürlich, fügte sie diplomatisch hinzu, müsse die Notenbank auch die negativen Effekte dieser Geldpolitik im Blick haben. Äußerst diplomatisch.