Kaum etwas weist heute darauf hin, wo Irland aufhört und Nordirland anfängt. Lediglich die Straßenschilder deuten den Grenzübertritt an: In der Republik sind Geschwindigkeitsbegrenzungen in Kilometern, in der britischen Provinz in Meilen pro Stunde angegeben. Rund 30.000 Menschen pendeln jeden Tag von einer Seite auf die andere. Die Grenze verläuft mitten durch Felder und Dörfer, durch Vorgärten und Wohnzimmer. Sie ist unsichtbar geworden - und das ist gut so. In den schlechten Zeiten, während des Nordirlandkonflikts, gab es entlang der 500 Kilometer, die die Insel teilen, Militärposten und strenge Kontrollen. Stacheldraht, Panzer und Gräben sperrten die Übergänge ab.

Nordirland war nie ein Ort des Friedens. Schon die Geburt der britischen Provinz ist begleitet von Gewalt. Allein von 1920 bis 1922 sterben 428 Menschen bei Ausschreitungen und durch Anschläge der IRA, zwei Drittel davon Katholiken. Später, im Nordirlandkonflikt, gibt es mehr als 3500 Todesopfer. Dennoch oder vielleicht gerade wegen dieser historischen Entwicklungen, dieser Geschichte der Gewalt, ist die Grenze erhalten geblieben. Bis jetzt. Der Brexit erschüttert die Strukturen, die es seit 1921 gibt, seit der Etablierung eines unabhängigen Irland - und eines davon abgetrennten Nordens.

Ein protestantisches Parlament
für ein protestantisches Volk

1921, der Unabhängigkeitskrieg ist eben vorbei, kommen die irischen Freiheitskämpfer und die britische Regierung nach langen Verhandlungen zu einem Kompromiss: Der Anglo-Irische Vertrag sieht vor, dass die Iren die südlichen 26 Grafschaften ihres Landes künftig über Dublin regieren dürfen. Die sechs nordöstlichen, in denen mehrheitlich Protestanten leben, bekommen in Belfast ein eigenes Parlament. Zusätzlich darf Nordirland Abgeordnete ins britische Unterhaus schicken.

Gezogen wird die Grenze vom Parlament in Westminster und der protestantischen Ulster Unionist Party. Der Norden ist nun vom Süden getrennt, Belfast wird zur neuen Hauptstadt: Nordirland ist geboren.

Die Briten erhoffen sich, damit die "Irische Frage", wie sie das Problem seit dem 19. Jahrhundert nennen, mit der Teilung der Insel gelöst zu haben. Und tatsächlich kehrt in den 1920ern und 1930ern eine gewisse Ruhe ein - vergleichbar mit der Situation in den Jahren nach dem Karfreitagsabkommen von 1998: Gewalt gibt es zwar nach wie vor, aber sie hält sich in Grenzen. Es herrscht kein Krieg, wirklichen Frieden gibt es aber auch nicht. Die Protestanten, die zwei Drittel der Bevölkerung ausmachen, blicken mit Argwohn auf die katholische Minderheit. Die irischen Nationalisten hoffen, dass Nordirland nicht lange überleben wird - und streben eine Wiedervereinigung an.