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Zu lasch gegen Antisemitismus?

Politik

Nach dem Attentat in Halle ist in Deutschland eine Debatte entbrannt, ob Behörden und Gesellschaft ausreichend Stellung gegen Judenfeindlichkeit beziehen.


Zwei Menschen starben, einfach deshalb, weil sie zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Der Attentäter von Halle, der 27-jährige Deutsche Stephan B., hat eine Passantin und einen Besucher eines Döner-Imbisses erschossen, nachdem es ihm nicht gelungen war, das Tor der Synagoge zu öffnen. Hätte er das geschafft und hätten seine selbstgebastelten Waffen besser funktioniert, hätte er noch ein viel größeres Blutbad verursacht.

Denn Stephan B. wollte ein Massaker anrichten. Er sei zur Synagoge gegangen, "um zahlreiche Menschen zu töten", sagte der deutsche Generalbundesanwalt Peter Frank am Donnerstag. Nach seinen Angaben hatte der Rechtsextremist bei seiner Tat am Mittwoch neben Waffen mehrere Kilogramm Sprengstoff bei sich.

Die Synagoge in Halle suchte am Mittwoch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf. "Dieser Tag ist ein Tag der Scham und der Schande", sagte er. Wer jetzt noch "einen Funken Verständnis zeigt für Rechtsextremismus und Rassenhass", "der macht sich mitschuldig", betonte Steinmeier. Die Gesellschaft müsse eine klare, entschiedene Haltung der Solidarität mit den jüdischen Mitbürgern zeigen. "Wir müssen jüdisches Leben schützen."

Inwieweit das tatsächlich in den vergangenen Monaten der Fall war, darum dreht sich derzeit die Debatte in Deutschland. Und es mehren sich die Stimmen, die darauf verweisen, dass Deutschland hier seiner, auch historischen, Verantwortung nicht gerecht wurde. So bezeichnete Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, es als "skandalös", dass die Synagoge in Halle nicht unter Polizeischutz gestanden hätte. Dabei hatte laut deutschen Medienberichten Halles jüdische Gemeinde um verstärkten Polizeischutz angefragt.

Generell kommt nun Kritik auf, dass Behörden und Gesellschaft viel zu lasch mit Antisemitismus umgehen würden. "Die vielen Beleidigungen und auch tätlichen Angriffe gegen Juden, die als Juden sichtbar sind, werden öffentlich kaum noch wahrgenommen", schreibt etwa die "Süddeutsche Zeitung". Und in der "Bild" heißt es: "Der Terror von Halle mag die Tat eines einzelnen Neonazis sein. Aber viel zu oft hat sich dieser Mörder bestätigt fühlen dürfen. Bestätigt in der Annahme, dass sich niemand ihm wehrhaft in den Weg stellen wird."

Täter war von Antisemitismus "tief durchdrungen"

Zudem verweisen Medien, Antisemitismusforscher und Vertreter der Jüdischen Gemeinde darauf, dass Juden von vielen Seiten angegriffen werden - teils von der antiisraelisch eingestellten extremen Linken, von Rechtsradikalen und von Islamisten. Erst am vergangenen Freitag ist in Berlin ein arabisch sprechender Mann mit gezücktem Messer auf den Wachdienst der Neuen Synagoge zugelaufen.

Das Attentat in Halle war aber ganz offensichtlich rechtsradikal motiviert. Der Tatverdächtige ist nach Angaben der Ermittler "tief durchdrungen von einem erschreckenden Antisemitismus" und geprägt von Fremdenhass und Rassismus.

Und hier stellt sich nun die Frage, wie weit es ein Umfeld gab, das den Attentäter bestärkte. Besonders in das Blickfeld der anderen Parteien geriet hier die Alternative für Deutschland (AfD). SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich meinte etwa: "Der Angreifer ist ein radikaler Rechtsterrorist, der sich auch wegen der Verharmlosung und Leugnung der Naziterrorherrschaft durch AfD-Vertreter ermutigt fühlen konnte." Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) nannte den AfD-Politiker Björn Höcke einen "geistigen Brandstifter". Die AfD wiederum warf den anderen Parteien vor, den Anschlag "tagespolitisch zu instrumentalisieren", und bekannte sich zum jüdischen Leben in Deutschland.

Tatsächlich sind die Bundesländer Sachsen-Anhalt, in dem Halle liegt, und Thüringen, aus dem Höcke stammt, das Zentrum der AfD-Gruppierung "Der Flügel", ein Bündnis, das als völkisch und nationalistisch eingestuft wird und dessen Diktion immer wieder an Schriften aus dem Nationalsozialismus erinnert. Zudem gibt es in Sachsen-Anhalt eine aktive rechtsextreme Szene - von 1846 politisch motivierten Straftaten entfielen im vergangenen Jahr 1461 auf das Rechtsaußen-Spektrum.

Fraglich ist aber, wie weit der Attentäter - die Behörden gehen von einem Einzeltäter aus - mit lokalen Gruppen in Kontakt stand. Er scheint seine Verschwörungstheorien auch stark mithilfe des Internets entwickelt zu haben. Der Vater von Stephan B. berichtete der "Bild", dass dieser kaum Freunde gehabt habe. "Der Junge war nur online."

Offenbar sah er sich in einer Reihe mit dem rechtsextremen Attentäter, der im neuseeländischen Christchurch bei Anschlägen auf zwei Moscheen 51 Menschen getötet hatte. Genau wie dieser verfasste Stephan B. ein Manifest und übertrug seine Tat live im Internet. Stephan B. habe vergleichbare Taten, die vorher begangen worden seien, nachgeahmt, und "er wollte nach unserer Erkenntnis auch andere zu solchen Taten zur Nachahmung anstiften", sagte Generalbundesanwalt Frank.(klh)