Es war nicht das schlimmste Urteil für die katalanischen Ex-Politiker, aber das vielleicht zweitschlimmste.

Am Montag, den 14. Oktober, einen Tag vor dem spanischen Nationalfeiertag, hat der spanische Oberste Gerichtshof schließlich ein Urteil über die zwölf Angeklagten im katalanischen Separatisten-Prozess gefällt.

Die Richter folgten nicht dem Punkt der Anklage, wonach den meisten sogar der Tatbestand der "Rebellion" zur Last gelegt worden war. Diese Anklage kam international in die Kritik, weil eine Verurteilung nach Rebellion mindestens 15 bis zu 25 Jahre Gefängnis nach sich zieht. Außerdem benötigt sie den international hoch umstrittenen Punkt der Gewalt. Gewalt gab es um das Referendum am 1.Oktober 2017, befand das Oberste Gericht. Aber nicht als "instrumentaler Bestandteil", es waren eher Scharmützel zwischen Polizisten und Katalanen, die an dem – vom Verfassungsgericht untersagten – Plebiszit teilnehmen wollten.

Aber die Haftstrafen fielen trotzdem saftig aus: Zwischen neun und dreizehn Jahren wurden gegen die Politiker und Aktivisten wegen des Tatbestandes des Aufstandes - und zum Teil auch Veruntreuung - verhängt. Aufstand: Weil die Katalanen gegen die spanische Verfassung gehandelt haben, und die Sezession der Region zur Debatte, ja sogar zum Plebiszit ausgerufen haben und Tumulte in Kauf genommen haben. Veruntreuung, weil sie diese illegale Volksabstimmung mit Staatsgeldern finanziert haben.

Die Richter am Obersten Gericht in Madrid bewegten sich allerdings innerhalb der Haftstrafen des Gesetzes. Für Aufstand wird in den Artikeln 544 und 545 des spanischen Strafgesetzes eine Haftstrafe von acht bis zehn Jahren vorgesehen, für Personen, die eine besondere Führungsfigur sind, wird die Strafe auf zehn bis fünfzehn Jahre angehoben.

Am Montag wurde nun die höchste Haftstrafe von dreizehn Jahren gegen den Ex-Vizepräsidenten Katalaniens, Oriol Junqueras, verhängt. Zur Erinnerung: Die höchste Führungsfigur, der Ex-Präsident Carles Puigdemont, ist noch immer im Exil in Belgien. Puigdemont kritisierte das Urteil gegenüber seinen Mitstreitern auf Twitter als "Ungeheuerlichkeit". Spanien erließ am Nachmittag erneut einen Europäischen Haftbefehl gegen Puigdemont. Den vorangegangenen hatte Madrid zurückgezogen, da das europäische Ausland Puigdemont nicht wegen des Vorwurfs der Rebellion ausliefern wollte. Mit dem Tatbestand des Aufstandes scheint man sich in Madrid bessere Chancen auszurechnen. 

Bei dem Prozess ging es um die Rolle der Angeklagten beim verbotenen Unabhängigkeitsreferendum von 2017.

Höhere Strafen für ranghöhere Personen

Neben Junqueras wurden acht weitere Politiker und Aktivisten am Montag verurteilt. Die Exminister Jordi Turull, Josep Rull, Joaquim Forn, Raül Romeva und Dolors Bassa; sowie die Ex-Präsidentin des Parlaments  Carme Forcadell; und die Anführer der Assemblea Nacional Catalana (ANC) und der Organisation Òmnium Jordi Sànchez und Jordi Cuixart.

Romeva, Turull und Bassa wurden wie Junqueras wegen Aufstandes und Veruntreuung verurteilt - sie bekamen zwölf Jahre. Rull und Forn wurden von der Veruntreuung freigesprochen, sie bekamen zehneinhalb Jahre. Forcadell bekam wegen Aufstandes elfeinhalb Jahre. Cuixart und Sánchez wurden zu neun Jahren verurteilt. Die bisher genannten waren bereits seit über zwei Jahren in U-Haft.

Aber es wurden auch Politiker verurteilt, die sich bisher auf freiem Fuß bewegen durften: Die Ex-Minister Santi Vila, Carles Mundó und Meritxell Borràs wurden zu einem Jahr und acht Monaten Hausarrest sowie zehn Monaten mit 200 Euro pro Tag Pönalzahlung verurteilt. 

Berufung vor dem spanischen Verfassungsgericht, das schon damals gegen das Referendum geurteilt hatte

Schon vor der Urteilsverkündung wurde eine Berufung angekündigt. Der Instanzenzug geht vor das spanische Verfassungsgericht, bevor es zum europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gehen kann. Das Verfassungsgericht hatte zuletzt schon das Referendum als illegal qualifiziert. Viel Hoffnung auf eine Revision der Strafe dürften sich die Katalanen wohl hier nicht machen. Die Anwälte hoffen, dass das Verfassungsgericht schnell befindet, theoretisch hat es wohl bis zu vier Jahre Zeit.

Erst danach ist der Gang nach Straßburg frei. Das Menschenrechts-Gericht überprüft nationale Gesetze und Gerichtsentscheide auf ihre Vereinbarkeit mit der Europäischen Menschenrechtskonvention. Hier könnte das Urteil aufgehoben werden – wenn die Richter in Straßburg in dem damaligen Referendum weniger Aufruhr sehen, sondern die Ausübung der politischen Rechte.

Die Verteidigung und katalanische Experten rechnen mit einem endgültigen Spruch vor dem EGMR in rund acht Jahren.

In Kataloniens Hauptstadt Barcelona kam es nach dem Urteil zu Proteste, Aktivisten rüsteten sich für einen "demokratischen Tsunami". Kurz nach Bekanntmachung des Urteils versammelten sich wie erwartet zahlreiche Demonstranten auf den Straßen, schwenkten die katalanische Flagge und forderten auf Plakaten "Freiheit für die politischen Gefangenen" und "Selbstbestimmung".

Inwieweit die Gerichtsentscheidung die Parlamentswahlen in Spanien am 10. November beeinflussen wird, ist noch unklar.

Viele Unterstützer des Separatismus haben der Justiz vorgeworfen, mit dem Prozess ein Exempel statuieren zu wollen. Die Zahl der Sicherheitskräfte etwa an den Flughäfen und Bahnhöfen wurde massiv erhöht. Der frühere katalanische Innenminister Joaquim Forn, der zu zehn Jahren und sechs Monaten Freiheitsentzug verurteilt wurde, schrieb auf Twitter: "Danke für Eure Unterstützung. Danke, weil wir wissen, dass ihr immer da seid. Wir werden nicht müde werden. Es lebe das freie Katalonien!"

Die katalanische Zivilorganisation ANC hat als Reaktion auf mögliche Gefängnisstrafen bereits drei Tage Straßenblockaden angekündigt und Gewerkschaften haben zum Generalstreik aufgerufen.