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Johnsons Worte

Von Siobhán Geets

Politik

Kann der Vorschlag der britischen Regierung zu einem Kompromiss mit der EU führen? Die Reaktionen sind gespalten.


Bei der Wiedereröffnung des britischen Parlaments steht die Queen zwar im Zentrum der Feierlichkeiten - die vergoldete "Diamond Jubilee State Coach", gezogen von sechs weißen Pferden, brachte Elizabeth II. zur Verlesung der Rede im Parlament. Doch die Worte sind die eines Anderen: Boris Johnson. Am Montag verlas die Königin das Regierungsprogramm des Premiers - und verkündete die Schlüsselbotschaften der Tories vor den Neuwahlen: Mehr law und order, das Ende der Freizügigkeit für EU-Bürger, mehr Geld für das staatliche Gesundheitssystem und, allen voran: der Brexit. "Es war immer die Priorität meiner Regierung, den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union am 31. Oktober sicherzustellen", sagte die Queen.

Dabei schien es zuletzt, als habe die britische Regierung eine verblüffende Wende vollzogen. Der bisherige Kurs, den Brexit um jeden Preis durchzuziehen, wich einer neuen Kompromissbereitschaft. Sogar Jacob Reese-Mogg, Brexit-Hardliner der ersten Stunde, schrieb am Sonntag in einer Zeitungskolumne, dass Kompromisse mit Brüssel "unumgänglich" seien. Wo es Anfang vergangener Woche noch geheißen hatte, das Austrittsabkommen sei tot, gaben sich beide Seiten wieder hoffnungsvoll. Am Wochenende wurde hinter verschlossenen Türen verhandelt, Details sind keine bekannt.

Schrödingers Zollunion

Es habe "keinen Durchbruch" gegeben, hieß es danach aus Brüssel. In London gab man sich indes optimistisch: Ein Weg zu einer Einigung sei erkennbar, verlautete es am Sonntag aus Johnsons Kabinett. Verhandelt wurde über den Backstop, die Notfallslösung zur Vermeidung von Grenzkontrollen in Irland. Die alles entscheidende Frage lautet, wie die Grenze offen bleiben kann, wenn das Vereinigte Königreich und damit auch Nordirland aus Binnenmarkt und Zollunion der EU ausscheiden.

Angeblich wehrt sich London nun nicht mehr gegen einen Sonderstatus für Nordirland. Johnson soll vorgeschlagen haben, dass die britische Provinz mit der EU eine Zollpartnerschaft eingeht, um Kontrollen auf der irischen Insel zu verhindern. Offiziell wäre Nordirland dann noch Teil der Zollunion des Vereinigten Königreichs, würde sich aber de facto an EU-Regeln halten. Schnell war die Rede von "Schrödingers Zollunion": Nordirland wäre gleichzeitig innerhalb und außerhalb der EU-Zollunion.

Brüssel ist skeptisch

Der Vorschlag kommt nahe an die ursprüngliche Idee Brüssels heran, lediglich Nordirland im europäischen Regelwerk zu lassen. Premierministerin Theresa May lehnte das damals mit Verweis auf die Union Großbritanniens mit Nordirland ab. Doch seit die Regierung nicht mehr auf die nordirische DUP angewiesen ist (Johnson hat auch mit ihr keine Mehrheit mehr im Parlament), scheint die Union nicht mehr ganz so wichtig.

Brüssel ist dennoch skeptisch. "Mit diesem System mit seinen zwei Regelwerken für Waren gibt es mehr Möglichkeiten für Betrug", sagte ein EU-Diplomat zur Nachrichtenagentur Reuters. Es wäre sehr schwer, Güter, die von Großbritannien nach Nordirland kommen von jenen zu unterscheiden, die von dort weiter nach Irland und so in den EU-Binnenmarkt gelangen.

In Dublin hat der Vorschlag dennoch Optimismus verbreitet. Die irische Regierung will keinesfalls Kontrollen zu Nordirland einführen, weil sie fürchtet, damit den fragilen Frieden in der britischen Provinz zu gefährden. Vizepremier Simon Coveney gab sich am Montag zuversichtlich, dass bis zum 31. Oktober ein Abkommen erzielt werden kann: "Es ist vielleicht sogar noch in dieser Woche möglich."

Die kommenden Tage sind bedeutend im Brexit-Streit. Eine Lösung muss spätestens während des EU-Gipfels am Donnerstag und Freitag her. Wenn Johnson bis Samstag keinen Kompromiss mit der EU findet, muss er den Brexit noch einmal verschieben. So schreibt es ein Gesetz vor, das die Abgeordneten in Westminster im September beschlossen haben. Doch Johnson hat das immer wieder ausgeschlossen. Weigert er sich, dann könnten die Abgeordneten ihn stürzen und eine Übergangsregierung bilden, um den Brexit ohne Abkommen am 31. Oktober abzuwenden.

Johnson im Wahlkampfmodus

Auch, wenn es in den vergangenen Tagen aussah, als würde der Premier einlenken: Johnson hat seinen Kurs nicht verlassen. Der Tory-Chef will so schnell wie möglich Neuwahlen - und befindet sich bereits im Wahlkampf. Seine Mehrheit im Parlament hat er längst verloren, seit seinem Amtsantritt im Juli hat er keine einzige Parlamentsabstimmung gewonnen. Es wäre eine Überraschung, wenn die Abgeordneten seinem Regierungsprogramm am kommenden Montag zustimmen. Lehnen sie es ab, muss Johnson wahrscheinlich zurücktreten.

Doch auch damit könnte er wohl leben. Will der Tory-Chef seine Partei einen und der Brexit-Partei von Nigel Farage das Wasser abgraben, muss er lediglich glaubhaft versichern, das Königreich so schnell wie möglich aus der EU zu führen. Schafft er das nicht, kann er dem Unterhaus oder der EU die Schuld in die Schuhe schieben. Einen Vorgeschmack darauf hatte Johnson vor einer Woche gegeben. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel habe ihn erpresst, Nordirland in der Zollunion zu lassen, weil es sonst keinen Deal geben kann, hieß es aus Johnsons Kabinett. Das Signal an die Briten war deutlich: Die Deutschen sagen uns wieder einmal, was wir zu tun haben.

Kommt es tatsächlich zu einem Deal, dann muss er noch durch das Unterhaus. Führende Brexiteers haben bereits klargemacht, dass sie diesmal dafür stimmen werden. Die Abgeordneten haben jedenfalls schon eine außerordentliche Sitzung für Samstag eingeplant - das erste Mal seit dem Falklandkrieg 1982.