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Opposition erobert Budapest

Von WZ-Korrespondentin Kathrin Lauer

Politik

Auch in einigen anderen Hochburgen musste Fidesz bei den ungarischen Kommunalwahlen eine Niederlage einstecken.


Putz bröckelt, Pawlatschen-Geländer rosten vor sich hin. Viele Hinterhöfe in der ärmlichen Budapester Josephstadt sehen so aus. Einer davon, nämlich das Kulturzentrum "Patyolat" in der Baross-Straße, wurde bei dieser Wahl zum Epizentrum des Geschehens: Hier hat András Pikó, der für das Amt des Bezirksbürgermeisters kandidierte, sein Büro. Die Polizei hatte den Ort wenige Wochen vor dem Urnengang mit fadenscheiniger Begründung durchsucht, wohl um den Kandidaten zu diskreditieren.

Ebenfalls im "Patyolat" hat mit Gergely Karácsony, dem überraschenden Sieger der Bürgermeisterwahl in Budapest, erstmals nach langer Zeit ein ungarischer Politiker eine staatsmännische Rede gehalten. Neu daran war: Der Oppositionspolitiker dankte nicht nur den Wählern und Helfern, sondern auch dem unterlegenen Gegenkandidaten von der Regierungspartei Fidesz, István Tarlos, für seine bisherige Arbeit als Rathauschef.

Neben dem Durchbruch des Anti-Orbán-Lagers bei den landesweiten Kommunalwahlen in Ungarn zeichnet sich, wenn Karácsonys Stil sich durchsetzen sollte, auch eine Wiederkehr des zivilisierten Umgangstons in der Budapester Politik ab. Vor allem aber setzt die Opposition nun auf einen Mutmacher: Orbáns Unbesiegbarkeit habe sich als bloßer Mythos erwiesen, jubelt man dort.

Der 44-jährige Politikwissenschafter Karácsony war gemeinsamer Kandidat der zersplitterten rechten, linken und grün-liberalen Opposition, die sich in den letzten neun Jahren seit der Amtsübernahme von Viktor Orbán an der Regierungsspitze mühsam zusammengerauft hat. Seit 2014 hatte Karácsony sich als umtriebiger Bürgermeister des Budapester Stadtteils Zugló einen Namen gemacht. Die Wahl am Sonntag gewann er mit 50,6 Prozent der Stimmen deutlicher als erwartet. Amtsinhaber Tarlos kam auf 44,3 Prozent. Die Opposition siegte darüber hinaus in 14 von 23 Budapester Stadtbezirken und verbesserte damit ihr letztes Ergebnis um mehr als das Doppelte. Zu Machtwechseln kam es auch in den Städten Pécs, Miskolc, Szombathely und Eger.

Hingegen blieb in den ländlichen Gebieten der Fidesz stabil. Grund genug für Ministerpräsident Viktor Orbán, dies zu feiern. "Der Fidesz ist weiterhin die stärkste politische Kraft in Ungarn", sagte er. Im Wahlkampf hatten Vertreter des Regierungslagers damit gedroht, dass Gemeinden, in denen die Opposition regiert, kein Geld mehr vom Staat bekommen würden. Jetzt bot Orban der Hauptstadt "Zusammenarbeit" an, allerdings ohne konkrete Vorschläge.

Stillschweigend dürfte aber auch Orbán den Denkzettel zur Kenntnis nehmen. "Eins ist sicher: Seit 2006 ist dies die erste Wahl, die Fidesz nicht gewonnen hat, wenngleich auch nicht verloren", analysierte der Politologe Gabor Török auf Facebook. Er warnte aber auch: "Für sie (die Fidesz-Partei) ist das klare Signal dieser Wahl, dass sie 2022 (bei der nächsten Parlamentswahl) im Keller landen kann, wenn sie nicht verstanden hat, dass es hier im Gebälk geknackt hat." Mehr Ungarn als gedacht haben von der Verteilung der Pfründe an Orbáns Freunde und von der Misere in Ungarns Sozialwesen offensichtlich genug.

Sex-Skandal mit Folgen

Ein Problem für Fidesz ist zudem der von einem Sex-Skandal diskreditierte Kandidat im westungarischen Györ, Zsolt Borkai. Dieser siegte zwar mit einem winzigen Vorsprung von anderthalb Prozentpunkten. Doch vor den Kommunalwahlen waren Videos publik geworden, die Borkai bei einer Sex-Orgie mit Prostituierten auf einer Yacht zeigten. Auch Korruptionsvorwürfe gab es gegen ihn. Am Montag wurde über seinen möglichen Ausschluss aus dem Fidesz spekuliert. Dass er die Wahl nicht verloren hat, lag nach Einschätzung von Oppositionellen auch an der schwachen Gegenkandidatin.

Sehr knapp war auch der Sieg des Hausherren im "Patyolat", András Pikó. Er setzte sich mit einem Vorsprung von nur 269 Stimmen gegen seinen Fidesz-Rivalen Botond Sára durch. Man hätte Pikó, dem charmanten, hemdsärmeligen früheren Moderator des von der Regierung drangsalierten Privatsenders Klubradio, durchaus einen deutlicheren Sieg zugetraut. Dass es so knapp wurde, dürfte an der mit der Hausdurchsuchung eingeleiteten Schmutzkampagne gegen ihn zusammenhängen. Zwar erwies sich der Vorwurf des Missbrauchs von Wählerdaten rasch als unhaltbar und die Ermittlungen wurden eingestellt. Dennoch blieb an ihm und an einigen anderen Oppositionskandidaten, deren Image im Wahlkampf bewusst beschädigt wurde, ein schlechter Ruf haften, wie Wahlkampfhelfer beobachteten. Das Orbán-Lager kämpfte auch sonst mit fragwürdigen Methoden. Nicht zuletzt soll Fidesz - so der Vorwurf der Opposition - sogar am Wahltag versucht haben, auf offener Straße Wähler in Budapest zu bestechen. Einer der Stadteilkandidaten, Gábor Eröss, erstattete deswegen unter Berufung auf Zeugen Anzeige bei der Polizei. "Der Mann, den wir dabei beobachtet haben, hat mindestens 15 Stimmen gekauft", sagte die Aktivistin Moni Bálint der "Wiener Zeitung". "In ganz Budapest gab es mindestens zehn weitere Stimmenkäufer."