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Kataloniens Proteste und deren Profiteure

Von Konstanze Walther

Politik

Die Demonstrationen werden auf beiden Seiten für Stimmungsmache instrumentalisiert.


Es ist eine Situation, die jederzeit kippen kann. In Katalonien halten die Proteste eine Woche nach dem umstrittenen Urteil weiter an.

Viele der tausenden Demonstranten in Katalonien wollen friedlich ihren Unmut darüber kundtun, dass neun ehemalige katalanische Regierungsmitglieder sowie zwei Unabhängigkeitsaktivisten zu insgesamt 100 Jahren Haft verurteilt worden sind. Doch innerhalb der Proteste gibt es auch solche, die ihre Chance wittern, über den Volkszorn eine Entscheidung herbeizuzwingen. Auf beiden Seiten.

Da gibt es etwa ein verifiziertes Video, auf dem zu sehen ist, wie eine Gruppe ultrarechter Nationalisten (die für den Verbleib Kataloniens in Spanien eintreten) versuchen, mit den Unabhängigkeitsbefürwortern gewaltsam in Kontakt zu kommen. Die Ultras werden entschieden von der spanischen Polizei, ausgestattet mit ihrer Schutzausrüstung und Schilden, zurückgedrängt. Ein Nationalist wurde von mehreren Medien dabei gefilmt, wie er mitten im Lager der Unabhängigkeitsbefürworter Streit gesucht hat - indem er alle Menschen mit Beleidigungen aufzustacheln versucht hat. So mancher Katalane, so manche Katalanin wurde von Freunden zurückgehalten, damit diese Situation nicht außer Kontrolle geriet und der Polizei oder den Medien nicht eine Steilvorlage gegen die Proteste liefen konnte.

Es existieren aber auch verifizierte Aufnahmen, auf denen zu sehen ist, wie am Mittwoch ein Polizei-Helikopter mit Feuerwerkskörpern beschossen worden ist. Am Montag wurde deswegen ein junger Unabhängigkeitsbefürworter festgenommen - die Anklage soll auf versuchten Mord lauten. Die katalanische Regierung hat immer wieder darauf hingewiesen, dass es vielleicht vereinzelte Hooligans unter den Demonstranten gebe. Die Proteste an und für sich seien aber friedlich, hieß es vom katalanischen Regierungschef Quim Torra.

Torra wirft man seitens Madrid aber weiter vor, die Gewalt nicht scharf genug verurteilt zu haben.

Vereinzelt, oder nicht: Die andere Seite ist ebenfalls wenig zimperlich. Die katalanische Polizei hat offiziell den Einsatz von Gummigeschossen verteidigt, auch Tränengas wird bei den Demonstrationen verwendet.

Medien werden behindert

Einem Fotojournalisten ist von einem dieser Gummigeschosse am Kiefer getroffen worden, in Folge dessen ist ihm ein Zahn ausgefallen. Überhaupt sind mehrere Journalisten bei der Verrichtung ihrer Arbeit von den Polizisten behindert, weggescheucht und festgenommen worden.

Es kursieren auch Videos, auf denen Polizisten mit Gummischlagstöcken und Fußtritten operieren. Ein paar dieser Videos scheinen echt zu sein, aber nicht alle. Mit der Macht der Bilder - getürkt oder nicht - wurde schon oft bei Protesten versucht, für oder gegen eine Sache Stimmung zu machen. Eine visuelle Aufbereitung der vermeintlichen Schandtaten der Gegenseite evoziert Emotionen und lockt noch den letzten Unentschiedenen auf die Straße.

So weit die Theorie. In der Praxis wurden laut dem Innenministerium bei den katalanischen Protesten bisher fast 600 Menschen verletzt, darunter mehr als 200 Polizisten. Fast 200 Verdächtige wurden festgenommen. 28 davon sitzen weiter in Haft.

Der sozialdemokratische Premierminister Spaniens, Pedro Sánchez, besuchte am Montag in Katalonien die verletzten Polizisten im Krankenhaus. Sánchez nannte danach die Polizei als "Garanten der Mäßigung" bei den Protesten. Er glaube überdies, dass die katalanische Krise noch lange andauern werde.

Ostentativ vermied Sánchez ein Treffen mit Torra. Medienberichten zufolge hat Torra Sánchez am Wochenende mehrmals versucht, anzurufen, doch Sánchez ist auf das "Dialogangebot" nicht eingegangen und hat den Anruf nicht entgegengenommen.