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Der linke Sonderfall Thüringen

Von Alexander Dworzak

Politik

Bodo Ramelow, einziger Ministerpräsident der Linkspartei in einem deutschen Bundesland, steht vor dem Wahlsieg. Eine schwierige Koalitionsbildung droht.


Entspannt sitzt Bodo Ramelow am Ufer eines Sees. Er richtet den Blick auf das Wasser, vor ihm Getreideähren, im Hintergrund strahlender Sonnenschein und die sanfte Hügellandschaft. Neben dem Bild steht in der Wahlzeitung der Linkspartei: "Thüringen ist ein schönes und lebenswertes Land." Und Ramelow dessen unbestrittener Liebling. 62 Prozent der Bürger des ostdeutschen Bundeslandes sind mit der Arbeit ihres Ministerpräsidenten zufrieden.

Denn Ramelow beherrscht viele Rollen. Er bedient sich einer Heimatkulisse, die anderen Linken als rechter Kitsch verpönt ist. Der frühere Gewerkschafter packt auch gerne öffentlichkeitswirksam an. Als im September 2015 Migranten per Zug aus Österreich in Thüringen landeten, stand er mit dem Megafon auf dem Bahnsteig und begrüßte die Ankommenden. Gleichzeitig forderte er stets Integrationsbereitschaft ein und sprach Klartext, dass abgelehnte Asylwerber das Land verlassen müssen. Und er punktet mit der niedrigsten Arbeitslosenquote aller ostdeutschen Bundesländer.

Den Lohn wird der 63-Jährige bei der Landtagswahl am Sonntag einfahren, auch wenn mit der Gebiets- und Verwaltungsreform ein Hauptprojekt gescheitert ist. Die Linke hält Umfragen zufolge ihre 28 Prozent von 2014.

In anderen ostdeutschen Bundesländern erging es der Partei hingegen zuletzt miserabel. In Sachsen und Brandenburg landete sie jeweils knapp über zehn Prozent und verlor acht Prozentpunkte. Die Meinung der Analysten war einhellig: Die Linke galt bei den Wählern als etabliert, ihr Image als Protestpartei und Stimme des Ostens war an die AfD verloren gegangen. Der gebürtige Westdeutsche Ramelow - er sagt, der Osten dürfe nicht "als Kolonie" des Westens betrachtet werden - gibt der Linken nun Hoffnung auf eine Trendwende.

Schwarzer Absturz nach 24 Jahren an der Macht

Der CDU droht dagegen ein Debakel. Nach 33,5 Prozent vor fünf Jahren könnte sie knapp zehn Prozentpunkte verlieren. Mit Sicherheit werden die Konservativen als stärkste Partei abgelöst. Dabei stellten sie nach der Wende fast ein Vierteljahrhundert lang den Ministerpräsidenten.

Heute meint sogar die Mehrheit der CDU-Anhänger, die Regierung aus Linkspartei, SPD und Grünen habe ihre Arbeit gut gemacht. Salz in diese Wunde streute der CDU-Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther, der seinen Amtskollegen Ramelow als "netten Nachbarn" in der Länderkammer adelte. Vergessen sind die Kontroversen um Ramelows Aussagen, wonach die DDR "kein Unrechtsstaat" gewesen sei. Für ihn sei der Begriff "persönlich unmittelbar und ausschließlich mit der Zeit der Nazi-Herrschaft" verbunden.

Der konservative Spitzenkandidat Mike Mohring versucht erst gar nicht, diese Geschichtsdebatte aufzuwärmen. Er kritisiert den Lehrermangel, der ein zentrales Thema im Wahlkampf ist. Ramelow sieht die Schuld im Personalabbau unter der Vorgängerregierung - also bei der CDU. Mohring hatte sich bereits in der Hochphase von Angela Merkel, 2010, gegen den Mitte-Kurs der Bundeskanzlerin gestellt. Vier Jahre später flog er aus dem CDU-Bundesvorstand, weil er angeblich den Plan verfolgt hatte, auch dank Unterstützung der AfD zum Ministerpräsidenten aufzusteigen. Nunmehr schließt Mohring eine Koalition mit den Nationalpopulisten - wie auch mit der Linkspartei - aus. Er sagt sogar: "Ich finde, Björn Höcke ist ein Nazi."

Der AfD-Spitzenkandidat führt den völkischen "Flügel" der Partei nach außen an - eine Gruppierung, die vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft ist und daher geheimdienstlich überwacht werden darf. Der frühere Geschichtslehrer forderte eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad", nannte das Berliner Holocaust-Mahnmal ein "Denkmal der Schande" und sprach vom "bevorstehenden Volkstod durch den Bevölkerungsaustausch".

Höcke gibt die Opferrolle und plagiiert Haider

Höcke-Gegner ließen sich gerichtlich bescheinigen, dass der Politiker aufgrund der "überprüfbaren Tatsachengrundlage" als Faschist bezeichnet werden darf. Im Wahlkampf drohte er einem ZDF-Journalisten nach kritischen Fragen mit "massiven Konsequenzen". Auch in der AfD ist Höcke nicht unumstritten, aber Parteichef Alexander Gauland schützt ihn. Höcke selbst mimt das Opfer und plagiiert ein altes FPÖ Plakat mit Jörg Haider: "Sie sind gegen ihn, weil er für Euch ist."

© M. Hirsch

Während die Linkspartei dank Ramelow reüssiert, legt die AfD trotz Höcke zu. Mit dessen Arbeit sind nur 15 Prozent der Thüringer zufrieden, das ist der niedrigste Wert aller Spitzenkandidaten. Die AfD kann trotzdem ihre 10,6 Prozent von 2014 mehr als verdoppeln, sogar Platz zwei ist möglich. Damit bestätigt die AfD im Osten Deutschlands ihre Rolle als Volkspartei.

Der Absturz der SPD findet auch in Thüringen seine Fortsetzung. Nicht einmal jeder Zehnte wird sein Kreuz bei den Sozialdemokraten machen. Die Zugewinne der Grünen reichen nach jetzigem Stand nicht für eine Fortsetzung der rot-rot-grünen Koalition. Mohring träumt von einem noch nie da gewesenen Bündnis zwischen CDU, SPD, Grünen und FDP. Doch auch diese Konstellation verfügt nicht über die Mehrheit. Zudem ist der Einzug der Liberalen in den Erfurter Landtag unsicher.

Die Tolerierung einer Minderheitsregierung schließt der CDU-Chef aus, auch Ramelow hält wenig davon. Eine zähe Koalitionsbildung zeichnet sich ab - wie im benachbarten Sachsen, das vor knapp zwei Monaten gewählt hat. Dort ringen CDU, Grüne und SPD noch immer um eine Einigung.