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Ostdeutschlands aussterbende Zweierkoalitionen

Von Alexander Dworzak

Politik

Die Regierungsfrage in Thüringen ist nur die Spitze schwieriger Mehrheitsbildungen.


Hochburgen, sie waren einmal. Das erfährt die CDU in Thüringen derzeit besonders schmerzhaft. 1999 noch mit einer absoluten Mehrheit ausgestattet und bis 2014 fast ein Vierteljahrhundert an der Regierungsmacht, mussten die Konservativen nun bei der Landtagswahl den Absturz auf Rang drei hinter Linkspartei und AfD hinnehmen. Es gärt - auch in der Bundes-CDU. Das zeigt die uneinheitliche Linie, ob Thüringens Landespartei eine von der Linken geführte rot-rot-grüne Minderheitsregierung zumindest tolerieren soll.

Die einzigen beiden rechnerisch möglichen Koalitionsvarianten mit CDU-Beteiligung - AfD, CDU und FDP sowie Linkspartei und CDU - sind in der Praxis ausgeschlossen. Denn laut Parteitagsbeschluss lehnen die Konservativen sowohl eine Zusammenarbeit mit der SED-Nachfolgepartei als auch den Nationalpopulisten ab. Auch die SPD schließt ein Bündnis mit der AfD aus, und mit der Linkspartei zumindest auf Bundesebene.

Da die Hochburgen der einstigen Volksparteien bröckeln, sind immer mehr Parteien für eine Koalitionsbildung notwendig. Alleinregierungen sind ohnehin passé, doch nur noch in der Hälfte der 16 Bundesländer gibt es Zweierkonstellationen. Sie finden sich vorwiegend in der "alten Bundesrepublik": in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hamburg und im Saarland. Nur ein einziges der sechs Ost-Bundesländer, Mecklenburg-Vorpommern, wird von lediglich zwei Parteien regiert - SPD und CDU.

Wo Schwarz-Rot noch funktioniert

Ausgerechnet die im Bund so ungeliebte Koalition zwischen Schwarz und Rot ist die häufigste Regierungsform in den Bundesländern. Neben Mecklenburg-Vorpommern findet sie sich auch in Niedersachsen und im Saarland. Dort agieren die Regierungsparteien geräuschlos, tragen nicht jede Meinungsverschiedenheit medienöffentlich aus. Umso verärgerter sind die Ministerpräsidenten über das Schauspiel ihrer Parteien in der Bundesregierung, für das sie von den Wählern daheim abgestraft werden.

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Kritik übt nun auch der im Rennen um den CDU-Vorsitz 2018 unterlegene Friedrich Merz. Sein Furor richtet sich nicht gegen Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer, er legt Bundeskanzlerin Angela Merkel wegen "mangelnder Führung" den vorzeitigen Abtritt nahe. Merz macht seine Kritik an der Grundrente fest, einem Pensionsaufschlag, über dessen Details die konservative Union und die SPD seit Monaten erfolglos verhandeln.

Hauptprofiteure der schwarz-roten Dauerdebatten sind bisher AfD und Grüne. Jene 5,2 Prozent für die Öko-Partei in Thüringen zeigen aber auch, dass der Aufstieg kein Selbstläufer ist. Über derartige Wahlergebnisse im Osten der Bundesrepublik kann die AfD nur milde lächeln. Lediglich in Berlin liegt sie mit 14,2 Prozent unter der 20-Prozent-Marke, 27,5 Prozent bei der Wahl in Sachsen im September markieren das bisherige Allzeit-Hoch - nur sechs Jahre nach Parteigründung.

Um die Ost-Volkspartei AfD von der Regierung fernzuhalten, regieren CDU, SPD und Grüne in Sachsen-Anhalt bereits seit 2016 in einer "Kenia-Koalition", entsprechend Parteifarben und Landesflagge. Nicht aus Freude am politischen Experiment, sondern weil die drei Kräfte eine Mandatsmehrheit zusammenkratzen konnten. Brandenburg zieht nach, in der vergangenen Woche stellten CDU, SPD und Grüne ihren Koalitionsvertrag vor. In Sachsen quält sich CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer in diese Richtung, nachdem Schwarz-Rot bei der Wahl im September die Mehrheit verloren hatte. Im besonders konservativen Landesverband gibt es starke Vorbehalte gegenüber den Grünen. Groß ist die Furcht, mit einem Mitte-Kurs noch mehr Wähler an die AfD zu verlieren. Die parteiinterne Gruppierung "Werte-Union" schlug daher eine Minderheitsregierung vor. Wer diese stützen soll, damit Kretschmer nicht bei erstbester Gelegenheit stürzt, ließ sie aber im Unklaren.

Der Westen tut sich leicht mit Ratschlägen

Doch auch im Westen Deutschlands stellen mittlerweile in drei Bundesländern drei Parteien die Regierung. Sie alle sind dort Unikate: Eine rot-gelb-grüne "Ampel" regiert in Rheinland-Pfalz, in Schleswig-Holstein werkt mit Schwarz-Grün-Gelb jene Konstellation, deren Verhandlungen auf Bundesebene 2017 gescheitert waren. Ebenfalls im Norden, in Bremen, amtiert seit August die erste Koalition im Westen, an der auch die Linkspartei beteiligt ist. Nur dort und im Saarland landete sie bei den bisher letzten Landtagswahlen über zehn Prozent, sie spielt sonst eine Nebenrolle. Daher fordern insbesondere West-Granden der CDU weiterhin bedingungslose Abgrenzung zur Linken ein. Stünden sie vor ähnlichen Problemen wie ihr Thüringer Kollege Mike Mohring nun, wären sie womöglich zurückhaltender mit Ratschlägen. Erst recht, da die AfD in den "alten Bundesländern" nicht über 15 Prozent hinauskommt und im gesamten Nordwesten - von Nordrhein-Westfalen bis hinauf nach Schleswig-Holstein - deutlich unter zehn Prozent liegt.

So vielfältig die Koalitionsvarianten sind, recht eintönig ist die Geschlechtsverteilung. Alle sechs CDU-Ministerpräsidenten sind Männer, dazu kommt der einzige Grüne, Baden-Württembergs Winfried Kretschmann. Bei den Sozialdemokraten ist das Verhältnis mit fünf zu zwei etwas ausgewogener. Die kommissarische Parteivorsitzende Malu Dreyer amtiert in Rheinland-Pfalz, Manuela Schwesig in Mecklenburg-Vorpommern. Auf CDU-Seite muss nun eine frühere Ministerpräsidentin dafür sorgen, dass die Thüringer Aufregung nicht in einem bundesweiten Flächenbrand endet: Parteichefin Kramp-Karrenbauer.