Mohammed Lal hat es bereits neunmal versucht. Beim letzten Mal gelang es ihm die EU-Grenze ungesehen zu queren. Einen Tag später wurden er von kroatischer Grenzpolizei aufgegriffen. Es folgte, was immer passiert, wenn du "The Game", wie er es nennt, verlierst: Die Polizisten zerschlugen sein Smartphone, nahmen ihm sein Essen und die dicken Jacke weg. Der 29-Jährige hatte Glück, Schläge gab es diesmal keine. Anschließend schickten sie ihn zurück nach Bosnien. Nach neun Stunden Fußmarsch war Lal wieder im Camp. Eine Endlosschleife in der der Afghane seit drei Monaten feststeckt.
The Jungle
Das Zeltlager nahe der Ortschaft Vucjak nennen die Flüchtlinge "The Jungle". Auf einer Lehmpiste drängen sich weiße Zelte des Roten Halbmonds. Strom und fließendes Wasser gibt es nicht. Die Wälder rund um die ehemalige Mülldeponie sollen seit dem Jugoslawienkrieg vermint sein. Die nächste Stadt - Bihac - ist zehn Kilometer entfernt. Das Lager ist von internationalen Hilfsorganisationen wie UNHCR nicht anerkannt. Einzig das Rote Kreuz in Bihac hilft den Flüchtlingen, verteilt Essen und warme Decken.

500 bis 600 Menschen sind laut Angaben des Roten Kreuzes zurzeit im inoffiziellen Camp. Zweimal am Tag gibt die Hilfsorganisation Essen aus, das Wasser liefert die Gemeinde Bihac mit einem Tanklaster. Alles ist knapp bemessen, zum Duschen bleibt oft kein Wasser übrig. Junge Männer in dünnen Jacken und Pullovern warten im Nieselregen auf das Essen. Die Reihe aus gut hundert Menschen reicht von der Essensausgabe bis zurück zum "Cafe", wo ein Sittich in einem Käfig zwitschert.
Zwei Stück Weißbrot und vielleicht eine Dose Fisch gibt es morgens und abends. Viel ist das nicht. Daher versuchen die Flüchtlinge, sich selbst zu versorgen. Im "Cafe" wird Schwarztee mit Milch ausgeschenkt, in einem "Supermarkt" kann man Getränke, Reis und Süßigkeiten kaufen. Auf kleinen Holzfeuern grillen sie Fleisch, kochen Suppen und backen flache Brotlaibe. Irgendjemand hat einen Generator angeschafft, dort können die Flüchtlinge für Geld ihre Smartphones und Powerpacks aufladen. Die meisten der jungen Männer sind seit einem Jahr und länger unterwegs. Smartphones sind ihre einzigen Verbindungen zu Familie und Freunden. Sie sind aber auch wichtiges Navigationsgerät, das Routen berechnet, Orientierung bietet und sie wissen lässt, wann sie die Grenze zur EU überquert haben. Wenn kroatische Grenzbeamte an der EU-Außengrenze Smartphones unbrauchbar machen, berauben sie die Flüchtlinge ihrer digitalen Landkarten. Zusätzlich nehmen sie ihnen Jacken und Schuhe ab, oder ziehen die Schuhbänder, um zu verhindern, dass die Flüchtlinge ein weiteres Mal versuchen, zu Fuß über die Grenze zu gelangen. Sprecher der kroatischen Grenzpolizei bestreiten, dass es solche Übergriffe gibt. Im Lager kursieren aber Dutzende dieser Geschichten, angeblich werde den Flüchtlingen auch Geld abgenommen, vor allem Euros.