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Spaniens Liberale im freien Fall

Von WZ-Korrespondent Manuel Meyer

Politik

Der Ciudadanos-Vorsitzende Albert Rivera half den Sozialisten, die konservative Regierung zu stürzen. Dann verweigerte er den Sozialisten die Unterstützung für eine Regierung. Nun bekommt Rivera bei der Wahl die Rechnung präsentiert.


Albert Rivera liebt es, zu diskutieren. Darin ist der 39 Jahre alte Politiker richtig gut. Er ist schlagfertig und durchsetzungsstark. Zweifellos gehört der Vorsitzende von Spaniens liberalkonservativen Ciudadanos zu den rhetorisch besten Politikern des Landes. Schon als Jus-Student gewann er regelmäßig Rhetorikwettbewerbe an seiner Universität in Barcelona. Umso mehr verwunderte deshalb zuletzt seine Nervosität bei der Fernseh-Wahlkampfdebatte mit den Spitzenkandidaten der anderen vier großen Parteien.

Medien und Experten waren sich nach der TV-Debatte einig: Albert Rivera war der große Verlierer. Zu nervös, zu aggressiv lautete das Urteil. Doch war der Druck auf Rivera auch am größten. Sämtliche Umfragen sagen seinen noch jungen Ciudadanos am kommenden Sonntag bei der spanischen Parlamentswahl ein regelrechtes Desaster voraus.

Seine Partei darf nur noch mit 15 der 350 Sitze im Parlament rechnen, wird nur noch fünftstärkste Fraktion in Madrid sein. Ein Wahldebakel ohnegleichen für eine Partei, die sich noch bis vor kurzem als politische Alternative zum sozialistischen Ministerpräsidenten und erneuten Wahlfavoriten Pedro Sánchez (PSOE) verkaufte.

Tatsächlich gelang es Rivera bei der vergangenen Wahl im April fast, die Oppositionsführung zu übernehmen. Er holte mit 57 Mandaten nur neun weniger als Spaniens arrivierte, konservative Volkspartei (PP).

Was ist in diesem halben Jahr nur vorgefallen? "Die politische Blockade Spaniens und der sich zuspitzende Katalonien-Konflikt", urteilt der spanische Wahlforscher Pablo Simón im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

Die jüngsten Ausschreitungen in Barcelona nach der Verurteilung von neun katalanischen Separatistenführern Mitte Oktober wühlen viele Spanier extrem auf. "Viele haben das Gefühl, die Einheit des Landes und das friedliche Zusammenleben stehen mehr als je zuvor auf dem Spiel", erklärt Simón.

Auf den ersten Blick verwundert es, dass gerade die Ciudadanos dadurch Schaden nehmen. Immerhin gründete Rivera die Partei 2006 in Katalonien als Kraft gegen die damals aufkommende Unabhängigkeitsbewegung. Rivera ist einer der vehementesten Gegner der katalanischen Separatisten.

Genau aus diesem Grund gab auch die Madrilenin Frances Botana den Ciudadanos bei den jüngsten beiden Wahlen ihre Stimme. Besonders gefiel Botana, wie Kataloniens Ciudadanos-Chefin Inés Arrimadas als Oppositionsführerin die Regionalregierung in ihre Schranken wies. "Aber seit den Wahlen im April sieht und hört man von Ciudadanos in Katalonien nichts. Arrimadas ist Rivera ins Madrider Parlament gefolgt und überließ Katalonien Politikern aus der zweiten Reihe. Das hat mich enttäuscht", ärgert sich die 55-jährige Kunstkuratorin.

"Albert Rivera hat sich strategisch verzettelt"

Sie wird am Sonntag die Rechtspopulisten Vox oder die Volkspartei PP wählen. "Spanien braucht nun eine starke Partei, um Kataloniens Separatisten zu stoppen. Eine Partei, die auch durchgreift. Ciudadanos traue ich das nicht mehr zu." Damals hätten Ciudadanos noch frisch gewirkt, kampfbereit, mit neuen Ideen. "Im Laufe der Zeit haben sie aber Elan verloren, gleichen immer mehr dem PP", meint die dreifache Mutter.

Viele ehemalige Ciudadanos-Wähler sehen das ähnlich. Vor allem Wähler in Katalonien, wo Arrimadas 2017 sogar die Regionalwahlen gewann, auch wenn dann die beiden separatistischen Formationen JxCat und die ERC eine mehrheitsfähige Regierungskoalition bildeten. Am Sonntag dürfte Ciudadanos in Katalonien nach dem Wahlfavoriten ERC und den katalanischen Sozialisten PSC nur noch dritt- oder viertstärkste Partei werden. Die düsteren Wahlumfragen für Rivera animieren weitere Mitte-rechts-Wähler, wieder zur größeren konservativen Volkspartei zurückzukehren, die sich dank der Wahlverluste Riveras von 66 auf bis zu 99 Mandate verbessern kann.

Auch Pedro Palacios will wieder die Konservativen von Oppositionsführer Pablo Casado wählen. Dabei kann er der Kombination aus pragmatisch-liberaler Wirtschaftspolitik und sozialdemokratischer Sensibilität der Ciudadnos mehr abgewinnen. "Für mich aber haben sie sich strategisch verzettelt, an Identität verloren", meint der 46-jährige Filmproduzent aus Madrid. Mal unterstützten sie die Konservativen, dann die Sozialisten. Rivera half Sánchez sogar, den Konservativen Mariano Rajoy per Misstrauensvotum zu stürzen, verhinderte im Sommer aber eine sozialistische Regierung.

"Wir mussten in den letzten vier Jahren bereits vier Mal wählen. Und eine große Schuld an der politischen Blockade sehe ich bei den Ciudadanos, die keine staatspolitische Größe zeigte, sondern mehr am Machtgewinn interessiert ist", meint Pedro Palacios.

Jetzt, wo er in den Umfragen schlecht dasteht, will Rivera von der Opposition aus plötzlich die politische Blockade lösen. "Das hätte Rivera vorher tun können, als er noch 57 Sitze hatte. Jetzt ist es zu spät und ich glaube ihm auch nicht mehr."

Auch viele Schwergewichte haben schon die Partei wegen der Wankelmütigkeit Riveras verlassen. Zum Beispiel Frankreichs ehemaliger Ministerpräsident Manuel Valls, der als Halbspanier für das Bürgermeisteramt von Barcelona kandidierte.

"Die Spanier wünschen sich Parteien, von denen sie wissen, welchen Kurs sie einschlagen und mit wem sie koalieren. Das kann Ciudadanos derzeit vielen nicht bieten", so Wahlforscher Simón.