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"Frauen sollen nicht lange in Karenz bleiben"

Von Siobhán Geets

Politik

Von der nächsten EU-Kommission erwartet sich die SPÖ-Europaabgeordnete Evelyn Regner einiges - vor allem im Kampf gegen Gewalt an Frauen. In Österreich würde sie das dritte Jahr Kinderbetreuungsgeld abschaffen.


"Wiener Zeitung": Der 25. November ist der Tag gegen Gewalt an Frauen. Seit 2009 fordert das Europaparlament die EU-Kommission immer wieder auf, eine Richtlinie zum Kampf gegen Gewalt an Frauen auszuarbeiten, doch es geschieht nicht. Wieso?Evelyn Regner: Es gibt Staaten, die hier nichts weiterbringen wollen. 21 Länder haben die Istanbul-Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen ratifiziert, die Visegrad-Staaten sowie Bulgarien sind nicht darunter. Diese Länder haben offensichtlich eine andere Kultur. Wir wollen zusätzlich ein Maßnahmenpaket, zu dem auch häusliche Gewalt gehört, mit praktischen, verbindlichen Maßnahmen. Gewalt ist das größte Hindernis für Gleichberechtigung: Eine Frau, die eingeschüchtert ist, ist nicht frei.

In einigen Ländern im Osten Europas findet bei Frauenrechten ein Backlash statt. So hat Polen Sexualkunde an Schulen verboten. Das EU-Parlament ist in vielen Fällen aktiv, aber über Kritik hinaus lässt sich da nichts machen, oder?

Doch, beim Prinzip der Gleichheit von Männern und Frauen haben wir durchaus Kompetenz. Wir sind hier mit einer Resolution tätig geworden. Diese Länder heulen dann immer auf und sprechen von Subsidiarität. Das ist aber nicht Aufgabe der einzelnen Staaten. Das Prinzip der Gleichheit, das Recht, selbst über den eigenen Körper zu bestimmen, ist eines der grundlegenden Prinzipien. Wer das ablehnt, handelt EU-rechtswidrig.

Gibt es Konsequenzen für Polen?

Ja, denn es löst eine politische Debatte aus. In Österreich ist es relativ ruhig, aber hier ist auch einiges passiert, was den Frauen viel gebracht hat, darunter das einkommensabhängige Karenzgeld. Die Frauen spüren hier die Kürzungen der jüngsten Vergangenheit noch nicht so - all die Einschränkungen für NGOs, die es auch in anderen Ländern gibt.

Viele Maßnahmen, die auf EU-Ebene beschlossen werden, darunter die zehn Tage bezahlter Papaurlaub, gibt es in Österreich schon. Hier sind die Standards höher als in vielen EU-Ländern. Kann die EU überhaupt etwas für Österreicherinnen tun?

Allein dadurch, dass wir gemeinsame Mindeststandards einführen, wird ein Wettbewerbsdruck von Österreich genommen. Zudem ist die Work-Life-Balance-Richtlinie eine wichtige Basis für die Umsetzung der Idee, dass Männer wie Frauen sich die Aufgaben am Arbeitsplatz und in der Familie teilen. Nur so kann man etwa das Dilemma der Einkommensschere in den Griff bekommen. Auch der Anspruch auf Pflegetage ist hier enthalten. Das gab es in Österreich so klar vorher nicht. Die Wirtschaftskammer ist Sturm gelaufen.

Sie sind Vorsitzende des Frauenrechtsausschusses im EU-Parlament (FEMM), der viele Vorschläge einbringt. Doch das Parlament hat kein Initiativrecht und Frauen waren nie Kernthema der EU. So hat die damalige EU-Justizkommissarin Viviane Reding schon 2012 eine Frauenquote vorgeschlagen, ist aber an den Mitgliedstaaten gescheitert.

Ich teile Ihren Pessimismus nicht. Frauenpolitik ist das Bohren harter Bretter, das geht sehr langsam von sich. Wir wollen eine verbindliche Quote und kein Wischiwaschi aus freiwilligen Maßnahmen. Als Konservative hat Reding eine verbindliche Quote lange abgelehnt. Sie sah dann, dass Freiwilligkeit nicht funktioniert, hat den Vorschlag gemacht und wir haben diesen Bericht, für den ich Berichterstatterin war, im EU-Parlament angenommen. Doch die Mitgliedstaaten bringen keine Mehrheit zustande, vor allem Deutschland steht auf der Bremse. Hoffentlich wird die neue EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen den Druck erhöhen, damit diese Richtlinie endlich verabschiedet wird. Wir haben zwar kein Initiativrecht wie der österreichische Nationalrat, das ist aber nicht so tragisch, weil wir ein Quasi-Initiativrecht haben: Sehr viele Vorschläge kommen aufgrund eines Initiativberichtes des Parlaments an die Kommission, die dann einen Vorschlag machen muss.

Auf die Richtlinie gegen Gewalt trifft das offenbar nicht zu. Erstmals sitzt nun eine Frau an der Spitze der Kommission. Wird unter von der Leyen mehr weitergehen?

Bei den Maßnahmen gegen Gewalt gegen Frauen haben wir fünf verlorene Jahre hinter uns. Kommissarin Vera Jurova (Justiz, Verbraucherschutz und Gleichstellung, Anm.) hat sich nicht für Frauenfragen engagiert.Die jetzige Kommission ist um einiges motivierter, die Rahmenbedingungen sind besser. Es gibt jetzt eine eigene Kommissarin für Gleichstellung. Von der Leyen ist eine Konservative, aber ich habe hier vertrauen in sie und erwarte mir einiges.

Im Europaparlament stimmen die Konservativen, darunter die Abgeordneten der ÖVP, immer wieder gegen Vorstöße des FEMM-Ausschusses. Damit erschweren sie eine Besserstellung von Frauen in anderen EU-Ländern etwa betreffend Abtreibung. Wie arbeiten Sie mit Konservativen im Ausschuss zusammen?

Im jetzigen Ausschuss sitzen fortschrittlichere Personen. Ich arbeite etwa sehr gut mit der konservativen irischen Abgeordneten Frances Fitzgerald zusammen. Sie war als Ministerin maßgeblich daran beteiligt, das Abtreibungsverbot in Irland aufzuheben und Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung einzuführen. Es gibt aber auch die AfD, polnische Abgeordnete und andere haarsträubend Konservative. Sie haben keine Antworten auf Probleme etwa betreffend Gewalt, ratifizieren aber auch nichts. Viele von ihnen stimmen im Plenum gegen unsere Vorschläge.

In Österreich wurde 2002 unter Schwarz-Blau das einkommensunabhängige Kinderbetreuungsgeld für bis zu drei Jahre eingeführt. Der Kündigungsschutz gilt nur zwei Jahre - eine Maßnahme gegen die Gleichstellung von Frauen?Frauenarmut, auch in der Pension, wurde verschärft, das macht die Frauen abhängiger von ihren Partnern. Dabei ist finanzielle Unabhängigkeit auch ein Mittel, um Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen. Eine Frau, die unabhängig ist, nutzt eher das Wegweiserecht. Das dritte Jahr Betreuungsgeld festigt patriarchale Strukturen. Das ist auch für Männer schlecht, die nicht alleine verantwortlich für das Familieneinkommen sein wollen. Frauen, die zwei Kinder bekommen und sechs Jahre daheim bleiben, sind oft nicht mehr adäquat qualifiziert. In nicht geschützten Sektoren kommen sie nicht mehr unter oder zu einem viel geringeren Gehalt. Den Preis zahlen Frauen, die rasch wieder in den Beruf einsteigen. Das Modell ist eine Entsolidarisierung mit allen Frauen, die sich für ein partnerschaftliches Leben entscheiden und ihren Beitrag leisten. Frauensolidarität ist keine Einbahnstraße. Sie gilt nicht nur für Frauen, die sich nach einigen Jahren Karenz beschweren, dass sie den Einstieg in den Job nicht schaffen.

Würden Sie das dritte Jahr Kinderbetreuungsgeld wieder abschaffen?

Das dritte Jahr würde ich auf jeden Fall wieder abschaffen. Frauen sollen nicht so lange in Karenz bleiben, da tun sie sich selbst nichts Gutes. Lieber eine kürzere, gut bezahlte und zwischen Müttern und Vätern geteilte Karenz. Für die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt wäre es zudem gescheiter, wenn das Kind nicht zwei volle Jahre bei der Mutter bleibt. Mein Ideal ist das isländische Modell: Wenn der Mann seine Karenz nicht in Anspruch nimmt, ist sie nicht auf die Frau übertragbar - und verfällt.

Sie selbst sind Alleinerzieherin, nachdem Ihr Mann sehr plötzlich verstorben ist. Was müsste sich ändern, um es Frauen wie Ihnen leichter zu machen?

Die Mentalität. Noch immer werden Mütter im Kindergarten vorwurfsvoll angeschaut, wenn sie die Betreuungszeiten nutzen. Auf Paare, die sich alles teilen, wird immer noch Druck ausgeübt, Stereotype sind bis heute stark: Das sollte man nicht tun, das arme Kind. Natürlich muss das Kindeswohl ganz oben stehen. Dafür die Rahmenbedingungen zu schaffen, ist Aufgabe der Gesellschaft. Ich wünsche mir mehr Mut, mehr Kampfgeist von allen Frauen, aber auch Männern, die diesen Ansatz unterstützen. Es ist eine Illusion zu glauben, dass wir Gleichberechtigung haben.

Evelyn Regner, geboren 1966 in Wien, ist seit 2009 SPÖ-Abgeordnete im Europaparlament und seit heuer Vorsitzende des Ausschusses für Frauenrechte und Gleichstellung. Zu ihren Schwerpunkten gehören zudem Steuergerechtigkeit und Beschäftigungspolitik.