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Deutscher Digital-Dilettantismus

Politik

Deutschland hinkt bei der Digitalisierung hinterher. Die Parteien diskutieren weniger über Inhalte als über die Schaffung eines eigenen Ministeriums.


Kurz vor Halbzeit der deutschen Bundesregierung hat CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer einen Grundfehler bei der Aufstellung der großen Koalition ausgemacht: Statt die Kompetenzen für das Zukunftsthema Digitales in einem Ministerium zusammenzufassen, habe Schwarz-Rot das zentrale Thema auf viele Ressorts verteilt, kritisierte sie beim Branchenverband Bitkom. Sie habe sich das jetzt zwei Jahre lang angeschaut, schob sie mit Blick auf die verteilten Zuständigkeiten für das digitale Bürgernetz oder den Breitbandausbau hinterher.

Obwohl Kanzlerin Angela Merkel die Digitalisierung schon 2013 zur Chefsache erklärt hatte, kam und kommt Deutschland nur langsam voran. In internationalen Vergleichen schneidet die Bundesrepublik gerade beim Infrastrukturausbau nur mittelmäßig ab. Im Bildungsbereich machten Großbritannien und die Schweiz laut Kramp-Karrenbauer vor, dass man ein durchgehendes Konzept für digitale Bildung brauche. Das Tempo der Reformen in Deutschland sei viel zu langsam. "Dauerbaustellen wie der schleppende Breitbandausbau, die Mobilfunkabdeckung oder die Digitalisierung der Verwaltung scheinen die digitalpolitische Energie innerhalb der großen Koalition komplett zu binden", kritisiert die grüne Technologiesprecherin Anna Christmann im "Handelsblatt".

Milliarden in den Ministerien

In der Regierung wird darauf verwiesen, dass es gute Gründe für das Umdenken gebe. Merkel hatte wegen ihrer Unzufriedenheit mit der zersplitterten Digitalzuständigkeit in den Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl 2017 vehement auf einer Koordinierungsrolle im Kanzleramt bestanden. Zu oft hatten die zuständigen Minister für Inneres, Verkehr und Wirtschaft zuvor nicht miteinander, sondern teilweise gegeneinander gearbeitet. Für keinen Minister der großen Koalition war Digitalisierung das wichtigste Thema. Also baute Merkel mit Kanzleramtschef Helge Braun, Staatsministerin Dorothee Bär und einer eigenen Digital-Abteilung 2018 ein Machtzentrum auf - doch die Milliarden-Töpfe blieben in den Ministerien.

"Ein Ministerium hat natürlich immer auch eine exekutive Möglichkeit, hat eigene Haushaltsmittel", sagt Kramp-Karrenbauer. "Noch wichtiger: Sie können niemanden wirklich verantwortlich machen", beschreibt Bitkom-Chef Achim Berg die politische Dynamik. Es müsse eine Person am Kabinettstisch geben, die wirklich verantwortlich sei. Kanzleramtschef Braun beanspruchte ein neues Ressort sogleich für die Union. Er verwies darauf, dass bisher fast alle zuständigen Ministerien in Hand von CDU/CSU seien.

Eine schnelle Änderung ist ohnehin nicht in Sicht: "Ich glaube nicht, dass es Sinn macht, mitten in der Legislaturperiode neue Koalitionsverhandlungen zu führen", wehrte Kramp-Karrenbauer die Forderung nach einer raschen Umsetzung ab. Gerade erst hätten sich Netzwerke in den Ministerien gebildet. Auch Kanzleramtschef Braun verweist auf die Zeit nach der nächsten Wahl.

FDP-Chef Christian Lindner kritisiert deshalb, dass nun bei der Union wie bei der Abschaffung des Solidaritätszuschlags Reden und Handeln auseinanderklaffe. Genüsslich verweist er darauf, dass seine Partei kürzlich im Bundestag beantragt habe, ein Digitalministerium zu schaffen - was die Union ablehnte. "Wir fordern schon lange, das Megathema Digitalisierung aus dem Kabinett heraus zentral anzugehen", sagte Lindner. Die Grünen wollen statt eines Ministeriums ein zusätzliches ressortübergreifendes Digitalbudget in Höhe von 500 Millionen Euro im kommenden Jahr.

Von der SPD kommt nach wie vor deutliche Ablehnung: "Ich halte von der Idee eines Digitalministeriums schon länger nichts. Das wäre vielleicht in den 80ern eine coole Idee gewesen", sagte die Digitalexpertin der Fraktion, Saskia Esken. "Mittlerweile ist Digital das neue Normal, und Digitalpolitik ist eine Querschnittsaufgabe", argumentiert Esken. Sie macht vor allem die Kanzlerin für fehlende Führung verantwortlich. "Deshalb fällt die Halbzeitbilanz der Regierung im Digitalen auch so mager aus."

Sie könne den Frust von Kramp-Karrenbauer zwar verstehen, sagt Esken - argumentiert aber wie die CDU-Chefin: Eine erneute Umorganisation zum jetzigen Zeitpunkt würde die Dinge noch schwieriger machen.

Bayerisches "Trüffelschwein"

Bayern ist einen Schritt weiter. Als erstes deutsches Bundesland - Hessen zog nach - wurde im November 2018 ein entsprechendes Ministerium eingeführt, geleitet von der 33-jährigen Judith Gerlach. Sie sieht ihr Ressort als "Trüffelschwein für neue Technologien", so Gerlach bei n-tv. Hier liefen alle Fäden zusammen, auch Schwachstellen müssten herausgefiltert werden. Ein Schwerpunkt ist dabei die digitale Verwaltung. Die 54 wichtigsten Leistungen sollen bis Ende 2020 online verfügbar sein. (reu/red)