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Im politischen Nahkampf

Von Martyna Czarnowska

Politik

Vor dem Nato-Gipfel verteidigt Frankreichs Staatspräsident seine Kritik am Militärbündnis.


Emmanuel Macron sieht keinen Grund, sich entschuldigen zu müssen. Drei Wochen ist es her, dass der französische Staatspräsident mit einer Interviewaussage für Aufregung bis hin zu Empörung quer durch die Hauptstädte Europas gesorgt hat. Danach verteidigte er seine Diagnose vom "Hirntod" der Nato immer und immer wieder. Das tat er auch am Donnerstag, als er mit dem Generalsekretär des Militärbündnisses zusammentraf.

Jens Stoltenberg war nach Paris gekommen, um die Vorbereitungen auf den Nato-Gipfel in London zu besprechen, der in der kommenden Woche das 70-jährige Bestehen der Allianz markieren soll. Der Norweger ging zwar nicht direkt auf die umstrittenen Kommentare des Franzosen ein, doch dieser knüpfte selbst bei einem Presseauftritt daran an. Es sei ein "Weckruf" gewesen, wiederholte Macron. Er finde nun einmal, dass eine Kluft bestehe zwischen der Finanzierungsdebatte und anderen wichtigen Fragen wie Friedenssicherung oder Beziehungen zu Russland. Solange diese nicht beantwortet seien, habe es wenig Sinn, über Kostenverteilung zu verhandeln.

Dieses Thema ist jedoch eines, das die meisten Nato-Mitglieder durchaus interessiert - allen voran die USA, die unter Präsident Donald Trump mehr denn je darauf drängen, dass die Europäer ihren finanziellen Beitrag zum Verteidigungsbündnis erhöhen. Nun wollen sie zumindest mehr in den Gemeinschaftshaushalt einzahlen. "Alle Alliierten haben sich auf eine neue Kostenverteilungsformel geeinigt", zitiert die Nachrichtenagentur AFP einen Nato-Sprecher. Damit gehe der Anteil der meisten europäischen Mitglieder sowie Kanadas nach oben und jener der USA sinke. Laut europäischen Diplomaten steigt Deutschlands Beitrag ab 2021 von 14,8 auf 16,35 Prozent des gemeinsamen Haushalts und ist dann ebenso hoch wie jener der USA.

Ringen um Ausgaben

Das Nato-Budget - das parallel zu den nationalen Verteidigungsausgaben läuft - beträgt nach Bündnis-Angaben heuer knapp 2,4 Milliarden Euro. Aus ihm werden unter anderem der Unterhalt für das Hauptquartier in Brüssel, die Militärkommandos, die eigenen Aufklärungsflugzeuge sowie Angestellte bezahlt. Diese Kosten werden der Wirtschaftsleistung der 29 Mitglieder entsprechend prozentuell verteilt. Deutschland war nach den USA schon bisher der zweitgrößte Beitragszahler, steuerte aber deutlich weniger bei. Frankreichs Anteil steigt übrigens nicht: Paris lehnt die Neuverteilung ab.

Das weit härtere Ringen spielt sich aber um die nationalen Verteidigungsausgaben ab. Diese wollen die Mitglieder auf zwei Prozent des jeweiligen Bruttoninlandsprodukts erhöhen, wie sie sich selbst zum Ziel gesteckt haben. Das haben aber erst wenige Länder erreicht: neben den USA, Griechenland und Großbritannien ebenso Polen und die baltischen Staaten Estland, Lettland sowie Litauen. Sie sind denn auch diejenigen, die immer wieder auf die Bedrohungen hinweisen, die aus dem nahen Russland kommen könnten und die auf militärische Abschreckungsmaßnahmen pochen.

Unmut in Osteuropa

Macrons Nato-Kritik und sein Plädoyer für eine Haltungsänderung gegenüber Moskau lösten daher vor allem in Warschau und Riga heftige Einwände aus. Dort wurde betont, was auch Stoltenberg bei seinem Aufenthalt in Paris unterstrich. Die EU allein könne Europa nicht verteidigen, befand der Generalsekretär: "Die europäische Einigkeit kann die transatlantische Einigkeit nicht ersetzen."

Diese wird wohl auch beim Gipfeltreffen in London am 3. und 4. Dezember beschworen werden. Das bedeutet freilich nicht, dass alle Risse im Bündnis bald gekittet sein werden. Es geht dabei nicht nur ums Geld, denn trotz aller Debatten darüber habe es in den vergangenen Jahren mit den Worten Stoltenbergs quer durch die Allianz "deutliche Bewegung" - also mehr Investitionen - gegeben.

Vielmehr sind es die politischen Auseinandersetzungen, die die militärischen und administrativen Entscheidungen beeinflussen - und die Schlagkraft des Bündnisses schwächen können. Vorwürfe werden dabei auf beiden Seiten des Atlantiks erhoben; die Unberechenbarkeit des US-Präsidenten tut ihr Übriges. Die Forderung nach Reformen scheint so naheliegend. Ob aber Macrons "Weckruf" dazu führt, ist offen.