Zum Hauptinhalt springen

Europäischer Klima-Ehrgeiz

Von Ronald Schönhuber

Politik

Mit dem Fahrplan für den Green Deal legt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Grundstein für das wohl wichtigste Projekt ihrer Amtszeit. Auf dem Programm steht nichts weniger als der Umbau der EU zum Klima-Musterkontinent.


Illusionen macht sich vor dem großen Tag niemand in Brüssel. Denn wie schwierig es trotz des Hypes um Greta Thunberg und die von ihr initiierten Fridays-for-Future-Proteste ist, große Klimaschutzvorhaben auch tatsächlich umzusetzen, hat nicht nur die französische Gelbwesten-Revolte gezeigt, die sich an der Erhöhung der Treibstoffpreise entzündet hat. Mindestens ebenso deutlich sichtbar wurden die Bruchlinien zwischen hohem Anspruch und politischer Realität auch, als beim EU-Gipfel im Juni über das Bekenntnis gerungen wurde, Europa bis zum Jahr 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent der Welt zu machen. Mit Polen, Ungarn, Tschechien und Estland torpedierten gleich vier EU-Staaten einen gemeinsamen Beschluss, sodass die geplante Absichtserklärung schließlich deutlich abgeschwächt in einer Fußnote des Abschlussdokuments landete.

Milliarden für den Osten

Die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will am heutigen Mittwoch dennoch weit mehr tun, als nur ein paar weitere Pflöcke in der gemeinsamen Klimapolitik einzuschlagen. Mit der Präsentation des Fahrplans für den Green Deal soll vielmehr der Grundstein für eine komplette Transformation der EU gelegt werden. Denn damit der Kontinent ab 2050 tatsächlich so wie angestrebt klimaneutral wird, müssen nicht nur die Produktion von Gütern und die Energieversorgung, sondern auch der Verkehr, das Heizen und Kühlen sowie die Landwirtschaft völlig umgebaut werden.

Von der Leyens Leuchtturmprojekt ist dabei aber nicht nur ausgesprochen ehrgeizig, wie man auch in Kommissionskreisen einräumt. Der Fahrplan für das zunächst etwa 50 Punkte umfassende Maßnahmenpaket ist auch extrem dicht getaktet. So will die neue EU-Kommission schon bis Ende Jänner einen Gesetzesvorschlag zum sogenannten "Just Transition Fund" vorlegen, mit dem auch die bisher skeptischen Mitgliedsstaaten ins Boot geholt werden sollen. Denn von den mehr als fünf Milliarden Euro, mit denen der Fonds Ländern mit hohem Anteil an fossilen Energieträgern beim Ausstieg aus Kohle und Öl helfen soll, würde der Großteil wohl an die EU-Mitglieder im Osten gehen.

Nur knapp einen Monat später soll dann auch schon eine neue und grünere Industriestrategie vorliegen und ein erster Anlauf genommen werden, um das Ziel der CO2-Neutralität bis zum Jahr 2050 rechtsverbindlich in einem EU-Klimagesetz zu verankern. Wenig Zeit bleibt von der Leyen zudem, um das wohl schwierigste Problem der kommenden ein bis zwei Jahre zu lösen. Denn bis zum Herbst müssen die Vertragsstaaten des Pariser Klimaschutzabkommens ihre nachgebesserten Emissionsreduktionspläne für den Zeitraum bis 2030 einreichen. Und dabei will die ehemalige deutsche Verteidigungsministerin vorangehen und als globaler Klimaschutzvorreiter ein klares Zeichen für andere Staaten und Regionen setzen. Statt der derzeit vorgesehenen Einsparung von 40 Prozent gegenüber dem Basisjahr 1990 soll es daher eine Minderung von 50 oder gar 55 Prozent geben. Für die Mitgliedsstaaten bedeutet das allerdings neue und auch rechtsverbindliche Treibhausgasziele, bei deren Ausarbeitung wohl mehr als heftig um die gerechte Lastenteilung gestritten werden wird. Denn schon ohne die Verschärfung der Emissionsvorgaben hinken die allermeisten EU-Staaten bei der Erreichung ihrer 2030-Ziele hinterher.

Niemand soll zurückbleiben

Konfliktstoff gibt es aber nicht nur bei der Lastenverteilung und der ebenfalls geplanten CO2-Grenzsteuer für Staaten, die sich so wie die USA nicht an das Pariser Klimaschutzabkommen halten. Denn aus von der Leyens Sicht wird in den kommenden zehn Jahren rund eine Billion Euro im Kampf gegen den Klimawandel benötigt. Und kommen soll das Geld nicht nur aus den Mitgliedsstaaten und dem Privatsektor, sondern auch aus dem EU-Haushalt. Um dessen Dotierung wird derzeit gerade wieder heftig gestritten, weil sich vor allem die Nettozahler massiv gegen eine Beitragsanhebung auf mehr als ein Prozent des Bruttonationaleinkommens wehren. EU-Diplomaten zufolge sind allerdings zumindest 1,11 Prozent nötig, um nachhaltige Effekte beim Kampf gegen die Erderwärmung erzielen zu können.

Die wohl größte Gefahr droht dem ehrgeizigen Projekt aber wohl von den Bürgern, die sich angesichts einer derart massiven Transformation, die auch den Alltag eines jeden Einzelnen betreffen wird, nur allzu rasch überfordert oder zurückgelassen fühlen könnten. Entsprechend klingen daher auch die Botschaften, die aus Kommissionskreisen in den vergangenen Wochen verstärkt ausgesandt worden sind. "Wir werden auf die 2,2 Millionen österreichischen Pendler nicht vergessen", sagte ein EU-Diplomat. "Und ebenso wenig wird die EU ein Fleischverbot dekretieren."