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Auf dem Weg zum Klima-Musterkontinent

Von Martyna Czarnowska

Politik

Der Druck auf Warschau, dem EU-Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zuzustimmen, wächst - auch in Polen selbst.


Erfolg und Scheitern liegen oft nah beieinander. Bei EU-Gipfeltreffen ist dies immer wieder zu sehen. Es mag wie eine Niederlage erscheinen, dass bei der Zusammenkunft der Staats- und Regierungschefs in Brüssel 26 Staaten - Großbritannien war nicht vertreten - es nicht schaffen konnten, ein Land von dem Ziel zu überzeugen, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Polen wehrte sich, nicht so sehr gegen das Vorhaben selbst, aber gegen das Datum. Dennoch war es keine reine Schönfärberei, als die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel nach den Beratungen von einem "großen qualitativen Fortschritt" beim Thema Klimaschutz sprach.

Denn erst am Mittwoch hatte die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Eckpunkte des Grünen Deals vorgelegt, der nicht weniger als einen Umbau nicht zuletzt der Wirtschaft vorsieht, angefangen von den Produktionsprozessen und der Energieversorgung über den Verkehrsbereich und die Landwirtschaft bis hin zur Finanzbranche. Die Notwendigkeit dessen negieren nicht einmal mehr Polen, Ungarn und Tschechien offen. Das war noch im Sommer anders. Beim Juni-Gipfel haben die drei Länder sich dagegen gestemmt, die Klimaneutralität bis 2050 in das gemeinsame Schlussdokument des Treffens aufzunehmen. Der Punkt ist in eine Fußnote des Textes gerutscht.

Budapest und Prag haben ihren Widerstand aufgegeben - für eine Zusicherung, die Wien gar nicht gefällt. Österreich sprach sich dagegen aus, Atomkraft als Energiequelle in dem Versorgungsmix zu akzeptieren, über den die Staaten jeweils selbst entscheiden können. Was den tschechischen Premierminister Andrej Babis zu der bissigen Bemerkung veranlasste, dass das Nachbarland allein an einem Morgen ein Viertel seines Stroms aus Tschechien bekommen habe, wo nun einmal AKW stehen - und ohne das "würde Wien wahrscheinlich ohne Strom sein". In der Gipfelerklärung ist nun festgehalten, dass einige Mitglieder Kernenergie als Teil ihres nationalen Energiemixes nutzen.

Abhängig von Kohle

Und Polen? Zwar ist in dem Schlussdokument zu lesen, dass ein Staat "sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht verpflichten" kann, das Klimaziel bis 2050 umzusetzen, was der polnische Premier Mateusz Morawiecki zufrieden als Ausnahmeregelung für sein Land bezeichnete. Gleichzeitig wies er aber darauf hin, dass die EU berücksichtigen werde, dass Polen das Vorhaben in seinem eigenen Tempo realisieren werde. Das wiederum bedeutet, dass das Ziel selbst nicht mehr in Frage gestellt wird.

Dass sich Morawiecki nicht kämpferischer gab, hängt auch mit der Debatte um die mehrjährige Finanzierung der EU zusammen, in die jene um den Klimaschutz hineinfließt. Aus dem künftigen Budget soll nämlich auch ein "Mechanismus für einen gerechten Übergang" gespeist werden. Aus diesem Topf soll Geld kommen für die Umstellung des Versorgungsmixes, weg von fossilen Energieträgern. Auf diese Mittel ist ein Land wie Polen, das noch rund 80 Prozent seiner Energie aus Kohle gewinnt, besonders stark angewiesen.

Die Diskussion um den Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 wird bis Juni an Fahrt aufgenommen haben. Da steht dann auch ein Gipfeltreffen an, mit dem Thema Klimaneutralität erneut auf der Agenda. Bis dahin wird der Druck auf Warschau wachsen, der Vorgabe zuzustimmen. Es gibt ihn auch in Polen selbst: Vertreter der Opposition kritisieren schon, dass das Land "der schwarze Kohlefleck auf der grünen Landkarte Europas" sei. Aus der Zivilgesellschaft kommen ebenfalls Aufrufe, den Ausstoß von Schadstoffen wie Kohlendioxid deutlich zu reduzieren.

Die Forderungen werden in den nächsten Monaten wohl kaum verhallen. Gerade in der Winterzeit fühlen die Bewohner etlicher Städte, wie belastet die Luft ist, durch Emissionen aus Industrieanlagen, aber auch aus veralteten Privatöfen, in denen alles landet, was brennt. Nach Angaben der Welthandelsorganisation WHO lagen noch vor zwei Jahren von den 50 meistverschmutzten EU-Städten 33 Orte in Polen. In einigen von ihnen überstiegen die Smog-Werte sogar jene Pekings oder Neu-Delhis.