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Risiko Weihnachtsstreik

Von Klaus Huhold

Politik

Frankreichs Gewerkschaften drohen, auch über die Festtage zu streiken. Doch das könnte sie viel an Sympathien kosten.


Das kommende Wochenende könnte für viele Franzosen noch einmal eine besondere Belastungsprobe darstellen. Denn ab Freitag beginnt der weihnachtliche Reiseverkehr, Millionen Bürger fahren für diverse Familienzusammenkünfte kreuz und quer durch das Land. Nur ist dieses Jahr fraglich, ob die Franzosen dafür die Bahn benützen können - oder ob sie fast alle auf Autos und Busse angewiesen sind und das Land in einem riesigen Stau versinkt.

Die Gewerkschaften ziehen wegen der umstrittenen Pensionsreform ihren Streik beinhart durch. In den vergangenen Tagen ist kaum ein TGV-Superschnellzug gefahren und auch am Montag stand der Metro- und Bahnverkehr im Großraum Paris großteils still. Nun drohen die Arbeitnehmervertreter, das Land auch über Weihnachten lahmzulegen. Wenn die Regierung nicht einlenke, werde es "keine Waffenruhe" während der Festtage geben, sagte der Bahngewerkschafter Laurent Brun.

Die Gewerkschaften haben jedenfalls das Potenzial, den Streik noch lange durchzuziehen - sie können enorm mobilisieren, sind gut organisiert und, nicht zuletzt wegen ihrer Verankerung in den Staatsbetrieben, finanziell gut aufgestellt. So erhält etwa die Gewerkschaft CGT seit Jahrzehnten rund ein Prozent des Umsatzes des Stromversorgers Electricite de France.

"Macron wird sein Vorhaben nicht zurücknehmen"

Setzen die Gewerkschaften den Streik in den kommenden Tagen derart kompromisslos fort, gehen sie aber das Risiko ein, viel an öffentlichem Rückhalt zu verlieren, sagt Frank Baasner, Direktor des Deutsch-Französischen Instituts, eines Forschungszentrums. Denn es ginge nicht nur um den Weihnachtsverkehr, sondern auch um das Weihnachtsgeschäft. Das ist schon vergangenes Jahr wegen der Gelbwesten-Proteste weitegehend ausgefallen. Wiederholt sich das heuer, dann müssten viele kleinere und mittlere Händler zusperren. "Wenn das passiert, dann kippt die Stimmung", betont Baasner im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

Schon jetzt sei Frankreich ein "gespaltenes Land". In Umfragen unterstützt derzeit eine knappe Mehrheit die Protestaktionen. Laut Baasner muss hier aber differenziert werden. So gebe es weniger Sympathien für jene Berufsgruppen, die große Privilegien genießen, wie die Metro- und Bahnfahrer, die teils schon mit Mitte 50 in Pension gehen. Größere Unterstützung erhielten etwa Spitalsangestellte oder Lehrer, deren Streiks auch nicht so viele Bürger so unmittelbar zu spüren bekommen.

Die Pensionsfrage gilt schon seit Jahrzehnten als heißes Eisen. Präsident Emmanuel Macron - dessen Hochkommissar für die Pensionsumgestaltung, Jean-Paul Delevoye, wegen Nebenjobs am Montag zurücktreten musste - ist aber als Reformer angetreten. "Er wird sein Vorhaben auch nicht zurückziehen", prognostiziert Baasner. "Ich tippe aber darauf, dass die Regierung einen Schritt auf die Streikenden zugeht."

So hat die Regierung auch den kompromissbereiten Teil unter den Gewerkschaften damit vor den Kopf gestoßen, dass die meisten Franzosen künftig erst mit 64 statt wie bisher mit 62 Jahren abschlagsfrei in Pension gehen können. Weil in diesem Punkt der Widerstand am größten ist, könnte Macron hier noch einlenken.

Gleichzeitig könnte er darauf beharren, dass das in 42 Einzelsparten zersplitterte Pensionssystem vereinheitlicht wird. Und dass gewisse Privilegien gestrichen oder neu diskutiert werden und dabei die Frage aufgeworfen wird, welche Berufe heutzutage so belastend sind, dass sie einen früheren Pensionsantritt rechtfertigen. Für so einen Kurs "gibt es in der Bevölkerung doch eine Mehrheit", sagt Baasner.