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"Österreich wäre viel provinzieller"

Von Martyna Czarnowska

Politik
Politologin Sonja Puntscher Riekmann.
© Mahmoud Ashraf

Der EU-Beitritt hat dem Land gesellschaftspolitische Offenheit gebracht, meint die Politologin Sonja Puntscher Riekmann.


"Wiener Zeitung": Hat die EU-Mitgliedschaft Österreicher europäischer gemacht?

Sonja Puntscher Riekmann: In den entsprechenden Umfragen zeigt sich ein interessantes Bekenntnis zur Europäischen Union, und gewählt werden mehrheitlich Parteien, die sich ebenfalls klar zur EU bekennen. Wie in allen anderen Mitgliedstaaten ist in Österreich für die Generation Erasmus Europa eine Selbstverständlichkeit: Es gibt eine ganze Generation, die nichts anderes kennt als die EU-Mitgliedschaft und auch den Euro. Sogar die Eurokrise hat die Österreicher nicht an der Beibehaltung der gemeinsamen Währung zweifeln lassen. Ich habe eher den Eindruck einer proeuropäischen Entwicklung in den Köpfen und Herzen der Österreicher als das Gegenteil - auch wenn sie oft jammern mögen über diese oder jene Entscheidung. Wahrscheinlich wurde auch begriffen, dass ein kleines Land in der Union besser aufgehoben ist als alleine.

Der Nutzen der Union für ein kleines Land ist nachvollziehbar. Aber was kann ein kleines Land in die Union einbringen?

Das ist die Umkehrung der Frage: Was haben wir von der EU? Also: Was tun wir für die EU? Da stellt sich aber die Frage, wer mit "wir" gemeint ist. Das können politische Parteien oder auch die Zivilgesellschaft sein. Die Politik, konkret die vorige Regierung, hat stärker den Nutzen betont und weniger den möglichen Beitrag. Überhaupt: Wenn es um materielle Politiken geht, die es umzusetzen gälte, etwa um Reformen der Währungsunion, sind die Österreicher nicht an vorderster Front mit Vorschlägen oder mit der Bildung von nötigen Allianzen dabei. Bei diesem hochkomplexen Thema habe ich mir von österreichischen Politikern immer mehr erwartet, als dann geschehen ist.

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Wären denn ausgerechnet die Österreicher so geeignet dafür?

Die Ressourcen wären da, ob sie richtig eingesetzt werden, ist eine andere Sache. Gerade bei der Wirtschafts- und Währungsunion, mit der ich mich in den letzten Jahren intensiv beschäftigt habe, gibt es noch Lücken. Da sind die Österreicher aber schweigsam. Ob sie hinter den Kulissen mehr tun, als sie öffentlich sagen, ist schwer abzuschätzen. Der Rat, das Gremium der Mitgliedstaaten, in dem hinter verschlossenen Türen die Regierungsvertreter sitzen, ist auch das am schwersten zu durchschauende Organ. Transparenter sind da die EU-Kommission und das EU-Parlament, wo es engagierte Abgeordnete gibt.

Und die Zivilgesellschaft, die Sie auch erwähnt haben?

Sie und ebenfalls Unternehmen haben längst begriffen, dass ihr Handlungsspielraum ein europäischer ist.

Die Politik nicht?

Die Politik ist in den vergangenen Jahren deswegen so seltsam geworden, weil die Regierenden suggerieren, dass sie das Heft in der Hand halten, egal ob das zutrifft oder nicht. Es gibt also eine Renationalisierung, die das Bild vermitteln will, dass eine Nation über eine Macht verfügt, die sie gar nicht hat. Das ist viel mehr Rhetorik als Realität.

Das ist ja kein spezifisch österreichischer Trend.

Nein, ein europäischer. Und aus dem ergibt sich eine Spirale nach unten.

Nehmen Sie eine Trennung zwischen Regierungen und Zivilgesellschaft vor?

Ja, und das ist eine interessante Trennung. Die Bevölkerung ist proeuropäischer, weiß, worum es geht und welche Standards zu erfüllen sind. Auf der offiziellen politischen Ebene haben wir es mit einer anderen Stoßrichtung zu tun: Entweder ist diese sehr weich oder sie ist nicht proeuropäisch. Im Gegensatz zu den Bürgern, die proeuropäische Haltungen aber auch Erwartungen haben - etwa im sozialpolitischen Bereich, in dem alle Regierungen blockieren.

Dennoch wählen auch diese Menschen manchmal EU-kritische Politiker.

Es gibt immer mehrere Rationalitäten. Es gibt das Thema Europa, aber auch Fragen danach, ob ich mir meine Miete oder die Energiekosten leisten kann. Es sind multiple Faktoren, die sich auf das Wahlverhalten auswirken.

Wie würde Österreich aussehen, wäre es vor einem Vierteljahrhundert nicht der EU beigetreten?

Es wäre viel provinzieller. Es würde der Zwang fehlen, sich mit anderen auseinanderzusetzen. Ich glaube, genau das ist der Clou Europas - und nicht, Weltmachtambitionen zu entwickeln, was höchstens vielleicht das Endprodukt sein kann. Das ist durch den EU-Beitritt Österreich gelungen, wenn auch nicht in allen Momenten oder in allen Parteien. Ein Beispiel sind die Studenten, die ich in all den Jahren begleitet habe. Ihre Offenheit gegenüber anderen gäbe es vermutlich ohne Mitgliedschaft nicht.

Wäre das Land auch wirtschaftlich ärmer?

Es würde sich wahrscheinlich wie die Schweiz auf die Suche nach bilateralen Verträgen machen müssen. Der Preis dafür wäre, die Bedingungen der EU annehmen zu müssen, ohne mitbestimmen zu dürfen. Selbst wenn wir wirtschaftlich nicht sehr viel verloren hätten, wären die Transaktionskosten, um ökonomische Erfolge aufrecht zu erhalten, gestiegen. Es wäre alles viel mühsamer.

ZUR PERSON: Sonja Puntscher Riekmann ist Politologin und ehemalige Politikerin. Sie leitete das Salzburg Centre of European Union Studies und ist Vizepräsidentin des Europäischen Forums Alpbach.