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"Politische Augenauswischerei"

Von Siobhán Geets

Politik

Ohne eine Änderung unseres Konsumverhaltens oder neue Technologien sei die von der EU angestrebte Klimaneutralität eine Utopie, sagt der Ökonom Eric Heymann. Es brauche eine CO2-Bepreisung - und mehr Ehrlichkeit in der Debatte.


"Wiener Zeitung": Die EU-Kommission will bis 2030 eine Billion Euro investieren, damit Europa bis 2050 klimaneutral wird. Möglich werden soll das, indem die Europäische Investitionsbank (EIB) 300 Milliarden zur Verfügung stellt und auch privates Kapital fließt. Wirklich vorhanden ist das Geld also nicht. Handelt es sich um Zahlenvoodoo?

Eric Heymann: Die Finanzierung ist komplett unsicher: Es wird Grabenkämpfe geben, wer welche Beiträge zu leisten hat. Ich habe den Eindruck, dass es nicht mehr darum geht, ob Klimaneutralität ein realistisches Ziel ist, sondern nur noch um die Verteilung der Summen.

Deutschland will nicht mehr nationale Mittel für den "Green Deal" bereitstellen und lehnt auch eine Erhöhung des Kapitals der EIB ab. Ist die Klimastrategie der EU damit dahin?

Das wird nicht von einem Mitgliedsland abhängen, zumal wir erst am Anfang der Debatte über die Finanzierung stehen. Ein anderer Punkt ist aus meiner Sicht relevanter: Wenn man das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 ausruft, dann sollte die Politik eine Vorstellung davon haben, mit welchen Technologien man das erreichen will oder welche Einschnitte in Produktions- und Konsumgewohnheiten zu erwarten sind. Ansonsten leidet die Glaubwürdigkeit der Klimapolitik. Die Aussagen hierzu sind sehr vage. Das geht in Richtung politische Augenauswischerei.

Der Ehrgeiz im Klimaschutz liegt wohl auch daran, dass das Thema derzeit angesagt ist. Vor kurzem hat Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel selbst von Klimaneutralität bis 2050 gesprochen - nichts als große Worte?

Es wäre nicht das erste langfristige klimapolitische Ziel, das verfehlt wird. Klimapolitik funktioniert häufig so, dass man sich anspruchsvolle Ziele für die ferne Zukunft setzt, aber nicht in der Lage ist, die kurzfristigen Effizienzpotenziale im Klimaschutz zu heben, siehe das Thema Kohle: Würde man den EU-Emissionshandel stärken und nicht durch einzelne nationale Maßnahmen konterkarieren, dann würde ein höherer CO2-Preis die Kohle allmählich vom Markt drängen. Das scheitert aber auch an politischen Widerständen. Stattdessen werden Klimaschutzziele für einen fernen Zeitpunkt formuliert, zu dem die heute aktiven Politiker gar nicht mehr an der Macht sein werden. Mit Blick auf seriöse Energieprognosen ist Klimaneutralität mit den heute verfügbaren Technologien und ohne, dass wir unser Konsumverhalten komplett ändern, nicht möglich. Das sollte man den Bürgern gegenüber auch deutlicher kommunizieren.

Was ist also zu tun?

Wir brauchen einen effizienteren Klimaschutz. Die meisten unabhängigen Ökonomen plädieren dafür, CO2 einheitlich zu bepreisen, am besten über einen Emissionshandel. Zuletzt sind im EU-Emissionshandel die Preise für CO2 gestiegen. Das hat Gas gegenüber Kohle begünstigt. Ideal wäre ein globaler CO2-Preis. Allerdings ist die theoretisch beste Lösung das eine, die politische Realität mit all ihren Einzelmaßnahmen das andere. Das ist eine große politische Hürde. Ambitionierter Klimaschutz verursacht wirtschaftliche, soziale und politische Kosten. Parteien am politischen Rand können das Thema aufgreifen, wenn ärmere Haushalte betroffen sind. Doch sind sich fast alle Ökonomen einig, dass wir das, was den Klimawandel auslöst, bepreisen müssen. Geld wird auch in die Anpassung in den Klimawandel fließen. Da wir einen Teil des Klimawandels nicht verhindern können und die globalen Emissionen vorerst wohl nicht stark sinken, sondern eher steigen werden, dürfte in der nächsten Dekade das Thema Anpassung wichtiger werden, also etwa beim Hochwasserschutz. Wir könnten bereits heute mit dem Geld, das wir für Vermeidung ausgeben, in vielen Ländern in die Anpassung investieren.

Sie sagen auch, für Klimaneutralität braucht es einen Verzicht auf Wohlstand. Worauf müssen wir verzichten?

Wenn im Green Deal steht, dass der multimodale Verkehr, also die Nutzung unterschiedlicher Verkehrsträger, angekurbelt werden muss, dann ist das ein Trugschluss. Mit den heute verfügbaren Technologien erreichen wir Klimaneutralität nicht mit mehr Verkehr, sondern nur mit weniger, also durch eine Änderung unseres Konsumverhaltens. Das wird alles nicht explizit gesagt. Die Frage ist: Was ist verzichtbarer Konsum? Die Wohnungsgröße pro Kopf wird von Jahr zu Jahr größer, wir konsumieren immer mehr elektronische Geräte und streamen immer mehr, wir werden immer mobiler, Flugreisen nehmen zu. Der Stromsektor, die Kohle ist nur ein Teil des Problems. Nähmen wir Klimaneutralität ernst, müssten wir uns aber darauf einstellen, weniger zu haben: Es wäre ein Wohlstandsverzicht etwa bei Wohnen, Mobilität, Essen nötig. Ich sehe dafür keine demokratischen Mehrheiten. Wer sagt, dass es ohne Verzicht geht, soll erläutern, mit welchen Technologien wir das hinbekommen sollen.

Der private Konsum wird doch überschätzt. So macht der Anteil von Flugreisen nur einen Bruchteil des weltweiten CO2-Ausstoßes aus. Ist es wirklich der richtige Weg, den Menschen den Urlaub auf Mallorca zu verbieten?

Nein. Ich sage nicht, dass die Menschen aufhören sollen, zu fliegen oder Fleisch zu essen. Mit fehlt die Ehrlichkeit in der Debatte. Wenn die Politik nur eine vage Vorstellung davon hat, welche Technologien zu Klimaneutralität führen sollen, dann ist eine Verzichtsdebatte unvermeidbar. Es gibt gute ökonomische und ökologische Gründe, den Fleischkonsum zu besteuern - aber das birgt politische Sprengkraft. Ein großes Risiko ist, dass die Klimadebatte vom rechten und bis zu einem gewissen Grad vom linken Rand aufgegriffen wird und zum nächsten großen Thema wird. Das Verbotsthema wird unterschätzt. Heißt es dann: Fliegen und Fleisch essen dürfen nur die Reichen, bietet das eine Angriffsfläche.

Steuern auf Fleisch sind politisch gefährlich, andererseits gibt es auch kein Recht auf das tägliche Schnitzel. Was, wenn man mehr subventioniert, was ökologisch sinnvoll ist?

Ich kann mir keine Welt vorstellen, in der alles, was mit Klimaschutz zu tun hat, subventioniert wird. Wir haben ja nur deshalb Elektroautos, weil sie stark subventioniert werden. Die wenigsten Menschen in Europa wollen ein E-Auto fahren, sie kaufen Diesel-Pkw und Benziner, weil sie die Nachteile der E-Autos sehen. Natürlich können wir auch beim Fleisch einen Subventionstopf aufmachen, aber was wollen wir denn noch alles subventionieren? Ausgaben für den Klimaschutz stehen in Konkurrenz zu anderen wichtigen Themen wie Bildung oder Gesundheit. Zudem stellt sich die Frage, ob es sozialpolitisch gerechtfertigt ist, dass etwa der Kauf von E-Autos subventioniert wird, obwohl sich eher die reicheren Haushalte ein solches Auto leisten können. Ich finde nicht.