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Doch kein Rücktritt in Kiew

Von Gerhard Lechner

Politik

Nach einem kompromittierenden Tonmitschnitt reichte der ukrainische Premier Olexii Gontscharuk seine Demission ein. Seinen Posten wird er aber dennoch behalten - weil ansonsten der Oligarch Ihor Kolomojskyj profitieren könnte.


Ibiza ist Alltag. Jedenfalls im Osten Europas, und wohl nicht nur dort. Die Technik, kompromittierendes Material - im Jargon des ehemaligen Sowjet-Geheimdienstes KGB: "Kompromat" - an die Öffentlichkeit zu spielen, um damit unliebsame Personen zu diskreditieren oder zur Zusammenarbeit zu zwingen, war bereits zu Sowjetzeiten weit verbreitet. In mehr oder weniger harmloser Form zeigt sich das in der Ex-Sowjetrepublik Ukraine noch heute: Etwa wenn, wie Ende Oktober, ein Abgeordneter des ukrainischen Parlaments dabei ertappt wurde, wie er während einer Parlamentssitzung mit einer Prostituierten chattete und nach den Konditionen für ein Treffen fragte. Ein Journalist hatte das Handy des Politikers aus der Präsidentenpartei "Diener des Volkes" von der Besuchergalerie aus abfotografiert.

Weniger harmlos, aber ebenso peinlich war da schon das, was vor kurzem in Kiew bekannt wurde: In einem Tonmitschnitt, der während einer geschlossenen Kabinettssitzung auf noch mysteriöse Weise aufgenommen wurde, äußerte sich Ministerpräsident Olexii Gontscharuk abfällig über seinen politischen Mentor: Präsident Wolodymyr Selenskyj, so Gontscharuk, müsse man wirtschaftliche Zusammenhänge mit einfachen Worten erklären. Der ehemalige Kabarettist und Schauspieler habe nur eine "sehr primitive" Vorstellung von Wirtschaft und bei diesem Thema einen "Nebel im Kopf". Das Treffen hatte deshalb stattgefunden, weil der 35-jährige Gontscharuk, der in der Sitzung selbst eingestand, in wirtschaftlichen Fragen ein totaler Laie zu sein, bei seinen Ministern um Rat fragen musste.

Der Premier, erst seit August im Amt, bot daraufhin dem Präsidenten in einem Schreiben seinen Rücktritt an. Er war darin um Schadensbegrenzung bemüht. Selenskyj sei ein "Beispiel an Offenheit und Transparenz. Der Mitschnitt erwecke "künstlich den Eindruck, dass mein Team und ich den Präsidenten nicht respektieren. Das ist nicht wahr."

Dennoch zeigte sich Selenskyj am Freitagabend überraschend versöhnlich: Er werde Guntscharuk noch eine Chance geben. Viele ukrainische Beobachter hatten schon zuvor gemutmaßt, dass der 35-jährige Liberale - nach einer kleinen Kopfwäsche - Premier bleiben könnte. "Es kann natürlich dennoch sein, dass das Verhältnis zwischen Selenskyj und Gontscharuk etwas gelitten hat", sagte etwa der Publizist Juri Durkot.

Das Video ist wohl deshalb an die Öffentlichkeit gespielt worden, um einen Keil zwischen den Präsidenten und seinen Ministerpräsidenten zu treiben. Wer dahintersteckt, war am Freitag noch unklar. Als möglicher Auftraggeber wird von vielen Ukrainern aber immer wieder ein Name genannt: Der Oligarch Ihor Kolomojskyj, also jener Geschäftsmann, der lange Zeit als der Strippenzieher Selenskyjs galt. Schließlich hatte Kolomojskyj dem Komiker mit seinem Fernsehsender "1+1" eine Plattform geboten. Und innerhalb der Präsidentenpartei fanden sich einige Gefolgsleute des Geschäftsmannes.

Stiller Machtkampf

Doch in letzter Zeit sind viele dieser Unterstützer von dem Oligarchen abgerückt. Ein stiller Machtkampf ist im Gange. Es waren auch die Kolomojskyj nahestehenden Abgeordneten, die nach Bekanntwerden des Mitschnitts als Erste den Rücktritt des Premierministers verlangten. Der Grund dürfte sein, dass sich Gontscharuk weigert, Kolomojskyj die Kontrolle über seine frühere Bank, die Privatbank, zurückzugeben. Sie befindet sich seit dem Konflikt des Oligarchen mit Ex-Präsident Petro Poroschenko im Staatsbesitz. Kolomojskyj dürfte gehofft haben, dass er mit der Unterstützung des als schwach eingeschätzten Selenskyj das Geldinstitut zurückerhalten könnte - "oder wenigstens eine Wiedergutmachung", sagt Durkot. Bis jetzt ist dieses Kalkül nicht aufgegangen. Die "Kolomojskyj-Fraktion" innerhalb der Präsidentenpartei ist nur relativ klein. In der Regierung und im Parlament dominiert die Gruppe der prowestlichen liberalen Reformer.

Schwenk Richtung Russland

Von denen ist Kolomojskyj, gegen den in den USA wegen Geldwäsche ermittelt wird, mittlerweile abgerückt. Der Mann, der 2014 noch mit umstrittenen Methoden - etwa mit der Aufstellung und Finanzierung von stark nationalistischen Freiwilligenbataillonen - zu einem Feind des Kremls aufstieg, gibt sich Moskau gegenüber mittlerweile versöhnlich. Im November hatte er in einem Interview in der "New York Times" der ukrainischen Regierung eine Wiederannäherung an Russland empfohlen - weil die EU die Ukraine ohnedies niemals aufnehmen werde. Der Wirbel in Kiew war danach vor allem im nationalistischen Lager rund um Ex-Präsident Petro Poroschenko groß, das ein Abdriften der Ukraine Richtung Moskau befürchtete.

Mittlerweile feuern auffallend viele ukrainische Medien - und auch Politiker - gegen die sogenannten "Sorosjata", die liberalen "Soros-Zöglinge". Das Etikett wird Politikern angehängt, die in der einen oder anderen Weise von Stiftungen und Förderungen des US-Milliardärs George Soros profitiert haben, etwa der Wirtschafts- oder die Bildungsministerin. Manche ukrainische Beobachter vermuten, dass ausgerechnet Kolomojskyj, der selbst wie George Soros jüdische Wurzeln hat, die Kampagne zumindest mit befeuert.