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Wie in der Weimarer Republik

Von Alexander Dworzak

Politik
Thüringens neuer Ministerpräsident Kemmerich (FDP, links) nimmt die Gratulationen seines rechtsextremen Ermöglichers Höcke (AfD) entgegen.
© reuters/Hanschke

Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik kommt ein deutscher Ministerpräsident dank Rechtsextremer ins Amt. In der Zwischenkriegszeit geschah dies 1924 - ebenfalls in Thüringen.


Machtpolitisch betrachtet war es ein Glanzstück. Eine Partei, die bei der Wahl nur mit 73 Stimmen Überhang den Einzug in das Parlament geschafft hat und nun die kleinste Parlamentsfraktion ist, stellt plötzlich den Regierungschef. Gelungen ist das der FDP im ostdeutschen Thüringen. Thomas Kemmerich wurde am Mittwoch zum neuen Ministerpräsidenten gewählt.

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Dramatische Szenen spielten sich im Erfurter Landtag ab. In den ersten beiden Wahlgängen erhielt der bisherige Ministerpräsident Bodo Ramelow wie erwartet keine Mehrheit. Denn dessen Linkspartei konnte bei der Wahl im vergangenen Oktober zwar zulegen, aufgrund der Verluste der Koalitionspartner SPD und Grüne verlor Rot-Rot-Grün aber die Mehrheit. Im dritten Wahlgang hätte Ramelow die einfache Stimmenmehrheit gereicht. Alles rechnete im Vorfeld mit einem Sieg Ramelows. Doch plötzlich stellte sich Kemmerich zur Wahl. Die AfD ließ ihren Kandidaten fallen und stimmte gemeinsam mit FDP und CDU für den 54-Jährigen.

Per Gerichtsurteilals "Faschist" titulierbar

Es ein Votum von enormer Tragweite: Zum ersten Mal seit Überwindung des nationalsozialistischen Terrorregimes, erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik wird ein Ministerpräsident mithilfe einer rechtsextremen Kraft in sein Amt gewählt. In Thüringens AfD gibt die radikale Gruppierung "Der Flügel" den Ton an. Deren führender Vertreter Björn Höcke machte über Deutschland hinaus Schlagzeilen, weil er das Holocaust-Mahnmal in Berlin als "Denkmal der Schande" verunglimpfte, eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad forderte oder von einer "tausendjährigen Zukunft" Deutschlands sprach. Höcke darf per Gerichtsurteil aufgrund der "überprüfbaren Tatsachengrundlage" als "Faschist" bezeichnet werden. Auch in der AfD gibt es Rechtskonservative, die Höckes Tabubrüche und seine Koketterie mit der Vergangenheit nicht goutieren, in Thüringen sind sie vom Landes- und Fraktionschef völlig marginalisiert worden.

Geschichte wiederholt sich, zumindest in Thüringen. 1924 verfügten weder Links noch Rechts über eine Mehrheit. Die Konservativen wurden daraufhin vom Völkisch-Sozialen Block toleriert, einer Deckorganisation der damals illegalen NSDAP - erstmals in der Weimarer Republik.

"Die Brandmauer gegenüber den Extremen bleibt bestehen", verspricht nun der neue Ministerpräsident Kemmerich. Er meint damit sowohl Linkspartei als auch AfD und lädt CDU, SPD sowie Grüne ein, sich an seinem Kabinett zu beteiligen. Die Sozialdemokraten wiesen das bereits brüsk zurück, von den Grünen ist nichts anderes zu erwarten. Einzig für die Konservativen klingt eine Regierungsbeteiligung verlockend. Sie haben viermal so viele Abgeordnete wie die FDP und verfügen über jahrzehntelange Regierungserfahrung in Thüringen, während die Freien Demokraten erst den Wiedereinzug in den Landtag geschafft haben. CDU-Chef Mike Mohring wird künftig wohl als heimlicher Ministerpräsident agieren.

Für Thüringens CDU mögen damit die Verhältnisse wieder in Richtung der alten Ordnung gehen. Stellte sie doch 24 Jahre nach der Wende den Ministerpräsidenten, ehe der Linke Ramelow 2014 an die Macht kam. Mohring bemühte sich nun um Relativierung, er und die CDU könnten nicht beeinflussen, wen die AfD-Abgeordneten wählen. "Wir sind nicht in der Verantwortung, sondern der neue Ministerpräsident."

Bundes-CDU empfiehlt einstimmig Neuwahl

So einfach ist die Sache für die Bundespartei nicht. Auf dem CDU-Parteitag 2018 wurden "Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der AfD" ausgeschlossen. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer bezeichnete das Stimmverhalten der Thüringer Parteikollegen als falsch. Ihr Generalsekretär Paul Ziemiak sowie der Vorsitzende der Schwesterpartei CSU , Markus Söder, plädierten für Neuwahlen im Freistaat. Das Präsidium der Bundes-CDU hat am Mittwochabend denn auch einstimmig einen neuen Urnengang in Thüringen empfohlen. "Was ist das Versprechen von Parteien noch wert, die sagen, es gebe keine Berührung mit der AfD?", fragte sich Ex-CDU-Politiker Michel Friedman, einst auch Vizechef des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Selbst Finanzminister Olaf Scholz (SPD) warf seine hanseatische Gelassenheit über Bord und schrieb auf Twitter: "Was in Erfurt passiert ist, war kein Zufall, sondern eine abgekartete Sache." Parteivize und Jungsozialistenchef Kevin Kühnert sprach von einem "Tabubruch".

Aufkündigung der Bundesregierung gefordert

Viele Nutzer in den sozialen Medien fordern die SPD-Spitze auf, die Koalition mit CDU und CSU zu verlassen. Es gebe "dringende Fragen an die CDU", die zügig im Koalitionsausschuss geklärt werden müssten, sagte Co-Vorsitzende Saskia Esken. Ihr Kollege an der Spitze, Norbert Walter-Borjans, wetterte: "Dass die Liberalen den Strohmann für den Griff der Rechtsextremisten zur Macht geben, ist ein Skandal erster Güte. Da kann sich niemand in den Berliner Parteizentralen wegschleichen." Nur kurz währte also die Ruhe zwischen den Regierungspartnern.

In Bedrängnis kommt auch die FDP. Noch im Thüringer Wahlkampf warb der kahlköpfige Kemmerich mit dem Slogan: "Endlich eine Glatze, die in Geschichte aufgepasst hat." Geschichtsbewusstsein vermissen nun viele bei der Partei. "Sollten sich Union, SPD und Grüne einer Kooperation mit der neuen Regierung aber fundamental verweigern, wären baldige Neuwahlen zu erwarten und aus meiner Sicht auch nötig", sagt FDP-Chef Christian Lindner. Schnell macht sich Ernüchterung breit.

Gejubelt wird am Ende eines historischen Tages nur noch bei der AfD: Fraktionschefin Alice Weidel twittert: "An der AfD führt kein Weg mehr vorbei."