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Besser schießen als arbeitslos

Von Gerhard Lechner

Politik
Viele Kämpfer ziehen ein Leben als gut bezahlte Soldaten unsicheren Perspektiven nach dem Krieg vor.
© reuters/Oleksandr Klymenko

Der Krieg im Donbass fordert wieder Tote - obwohl sowohl der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj als auch Kreml-Chef Wladimir Putin Signale der Entspannung aussenden. Doch das Gesetz des Krieges scheint stärker zu sein.


Die Zeit der guten Nachrichten aus der Ostukraine scheint bereits wieder vorbei zu sein: Mit "waschlywo!" - wichtig! - war am vergangenen Dienstagmorgen eine Meldung des ukrainischen Generalstabs übertitelt, die über neue Kämpfe an der Front im Donbass im Luhansker Gebiet berichtete. Die von Russland unterstützten Separatisten hätten auf breiter Front angegriffen, es sei aber gelungen, die Offensive abzuwehren. Ein ukrainischer Soldat und vier prorussische Rebellen seien ums Leben gekommen, auch Verletzte habe es gegeben.

Es waren die schwersten Kämpfe im ostukrainischen Konfliktgebiet seit vielen Monaten. Wolodymyr Selenskyj, der ukrainische Präsident, sprach von einer "zynischen Provokation" der Rebellen, welche die Friedensbemühungen untergrabe. Die Separatisten sahen in dem Blutvergießen ihrerseits eine "blutige Provokation" von Kiewer Seite.

Es war nicht der erste Rückschlag für den mühsamen Friedensprozess, den der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ins Rollen gebracht hat. Schon zuvor war es in den letzten Wochen zu teils heftigen Gefechten mit Toten gekommen - und zwar ausgerechnet dort, wo es in den letzten Monaten zu Truppenentflechtungen gekommen ist. Auch die Kämpfe am Dienstag fanden nicht weit entfernt von einer jener Zonen statt, aus der sich beide Konfliktparteien zuvor zurückgezogen hatten.

Dabei gab (und gibt) es in letzter Zeit auch genügend Signale der Hoffnung: So entließ Russlands Präsident Wladimir Putin am Dienstag seinen langjährigen Berater Wladislaw Surkow. Surkow, wegen seiner konspirativen Ader auch als "Putins Rasputin" und einflussreicher Einflüsterer bekannt, galt in den Nullerjahren als einer der Schöpfer der russischen Fassadendemokratie. In den letzten Jahren war der Hardliner für die Ukraine-Politik des Kremls zuständig und verfolgte dabei eine unnachgiebige Linie. Seine Aufgaben als Ukraine-Zuständiger übernimmt nun Dmitri Kosak. Der gebürtige Ukrainer ist ein treuer Wegbegleiter des Kreml-Chefs. Der 61-Jährige kennt Putin bereits aus gemeinsamen Tagen in der St. Petersburger Stadtverwaltung.

Verhandlungen in Sackgasse

Anders als Surkow gilt Kosak nicht als Ideologe, sondern als wirtschaftsliberaler Pragmatiker - ganz wie sein ukrainisches Gegenstück, der Kiewer Russland-Beauftragte Andrij Jermak. Dass die Annäherungspolitik der letzten Monate Erfolge zeitigte (Gefangenenaustausch, Truppenentflechtungen), war auch eine Folge des guten Verhältnisses zwischen Kosak und Jermak. Letzterer wurde von Selenskyj zum mächtigen Präsidialamtschef befördert. Er löste dort den umstrittenen Andrij Bohdan ab, der als ein Unterstützer des Oligarchen Ihor Kolomojskyj gilt.

Dass sich mit den Neubesetzungen der Ukraine-Konflikt quasi auflösen wird, ist freilich kaum zu erwarten. Zu fundamental sind immer noch die Gegensätze zwischen Moskau und Kiew. Die Verhandlungen stecken in einer Sackgasse. Ob es wie geplant im April in Berlin zu einem Gipfeltreffen zwischen Putin und Selenskyj kommen wird, ist unklar.

Die Positionen beider Seiten sind quasi eingefroren. Russland besteht auf dem, was im Minsker Abkommen festgelegt wurde: Zunächst soll es zu Wahlen in den Separatistengebieten kommen, danach könne man der Ukraine die Kontrolle über die Außengrenzen zurückgeben. Kiew will zunächst die Grenzen kontrollieren können - erst das könne freie und faire Wahlen nach ukrainischer Rechtsordnung garantieren. Auch über die "lokalen Milizen", die es laut dem Minsker Protokoll geben darf, gibt es fundamentalen Dissens. So gesehen erscheint ein "frozen conflict", ein eingefrorener Konflikt wie im von Moldawien abtrünnigen Transnistrien, am ehesten realistisch.

Nationalisten laufen Sturm

Einstweilen ist der Ukraine-Konflikt aber noch "heiß", beide Seiten wollen kämpfen. Die ukrainischen Nationalisten legen Selenskyjs Annäherungskurs als Appeasement aus, als Kapitulation vor dem Kreml. Sie halten daher den Krieg am Laufen. Und auch bei den Separatisten hat man kaum Interesse an einem Waffenstillstand oder gar Frieden. Die Soldaten verdienen gutes Geld, nach dem Krieg droht eine Situation in Arbeits- und Perspektivlosigkeit.