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"Heimwehr" für "anständige Slowaken"

Von WZ-Korrespondentin Simone Brunner

Politik

Bei den Parlamentswahlen am 29. Februar könnte die rechtsextreme Partei LSNS auf Platz Zwei kommen. Eine Spurensuche in der Mittelslowakei.


Milan Mazurek hat sich in Rage geredet. Gegen die korrupte Elite in Bratislava. Gegen die Milliardäre. Gegen Brüssel und Washington. Aber mit einer Anekdote über seinen Besuch in der schwedischen Studentenstadt Uppsala hat er an diesem Abend die meisten Lacher auf seiner Seite. "Dort sind sie besonders stolz, weil sie ein weltweit einzigartiges Fußballstadion errichtet haben", sagt er, bevor er zum großen Schlag ausholt. "Und wisst ihr, worum es ging? Es gibt dort jetzt Toiletten für Männer, für Frauen und für das dritte Geschlecht." Pause. "Was soll das denn bitte sein? Das dritte Geschlecht?" Der Saal bricht in Gelächter aus, Mazurek tupft sich mit einem Taschentuch die Schweißtropen vom Gesicht und grinst.

Zarnovica, eine slowakische Kleinstadt in der Mittelslowakei, zwei Autostunden von Bratislava entfernt. In einer Talsohle reihen sich geduckte, bunte Häuser aneinander. Ein Postamt, eine Kirche, ein Weltkriegsdenkmal, ein Fußballplatz. An diesem Montagabend ist der Kultursaal bis zum letzten Platz besetzt. Es ist ein gemischtes Publikum, das auf den pink bezogenen Klappstühlen Platz genommen hat und noch nach Beginn der Veranstaltung in den Saal drängt. Pensionisten, Jungfamilien, Jugendliche. Auf der Bühne, vor schweren, knallgelben Vorhängen, haben fünf Kandidaten der Partei "Ludová strana Naše Slovensko" (Volkspartei Unsere Slowakei, LSNS) zu einer Wahlkampfveranstaltung geladen.

"Über der Tatra blitzt es"

Zu Beginn läuft die slowakische Nationalhymne vom Band, zu der sich alle erheben. "Nad Tatrou sa blyska", "Über der Tatra blitzt es." Am Samstag finden in der Slowakei Parlamentswahlen statt. Es sind die ersten Wahlen nach der Ermordung des Investigativjournalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnirova vor zwei Jahren. Am Mord hatten sich Proteste im ganzen Land entzündet, die größten seit der Wende 1989, die auch den mächtigen Premier Robert Fico zum Rücktritt zwangen, der jedoch als Parteichef der linkspopulistischen Smer weiterhin die Fäden zieht.

Der Forderung nach Neuwahlen gab seine Partei damals nicht nach. Doch inzwischen ist der Kuciak-Mordprozess angelaufen, der jeden Tag neue Details über die korrupten Machenschaften innerhalb der slowakischen Elite entblößt.

Die Empörung wird sich am Samstag wohl nicht nur in einem Wahldebakel für die Regierungspartei Smer und Zugewinnen für die demokratische Opposition entladen. Sondern wohl auch in einen Wahlerfolg ganz rechts, für die Partei LSNS von Marian Kotleba. Zwischen zehn und dreizehn Prozent sagen Umfragen der rechtsextremen Partei voraus. Damit könnte sie es sogar auf Platz Zwei schaffen.

Der 43-jährige Marian Kotleba gilt als Gottseibeiuns der slowakischen Demokratie. Als junger Mann marschierte er in der mittelslowakischen Stadt Banska Bystrica in der Uniform der Hlinka-Garde, einer faschistischen paramilitärischen Wehrorganisation, die 1944 in die SS integriert wurde. Später gründete der studierte EDV-Lehrer die "Slowakische Gemeinschaft - Nationalpartei", die jedoch als demokratiefeindlich aufgelöst wurde. Seine "Kotlebovci" patrouillierten auf Bahnhöfen, um für die öffentliche Sicherheit zu sorgen, hetzten gegen "Zigeunerparasiten" und schlugen die Gründung einer "Heimwehr" vor, um die "anständigen Slowaken" rund um Roma-Siedlungen zu schützen.

Seit 2016 im Parlament

Seine Partei sitzt seit 2016 im slowakischen Parlament. "How a Slovakian neo-Nazi got elected", schrieb zuletzt der Guardian über Kotleba. In der Region Banska Bystrica ist die Unterstützung für Kotleba besonders groß, hier wurde er 2013 sogar zum "Zupan", zum Landeshauptmann, gewählt. In die kleine Stadt Zarnovica hat Kotleba an diesem Montag vor den Wahlen seinen Parteikollegen Milan Mazurek geschickt.

Der bullige 26-Jährige mit der rasierten Glatze flog im Vorjahr aus dem Parlament, weil er zuvor rechtskräftig wegen Rassismus verurteilt worden war. An diesem Abend vor den Wahlen hält er sich mit xenophoben Aussagen zurück, um allerdings andere Ressentiments zu bedienen: gegen LGBT-Rechte, gegen Brüssel, gegen die korrupte Elite in Bratislava, um nur ab und zu Seitenhiebe gegen "Zigeuner" und "Asoziale" einzustreuen.

Draußen vor dem Kultursaal parkt ein grüner Parteibus: "Die Slowakei - volksnah und christlich. Wir lassen die Homo-Ehe nicht zu." "Wir wollen einfach einen normalen Staat, ohne Oligarchen und die korrupte Elite, die sich bereichert, während unsere jungen Leute im Ausland arbeiten müssen", donnert Mazurek von der Bühne.

"Rebellion gegen Eltern"

Kotleba kann vor allem bei jungen Slowaken punkten: Laut einer aktuellen Umfrage will ein Fünftel der 18- bis 33-Jährigen Kotleba wählen. "Es ist auch eine Rebellion gegen die Elterngeneration", sagt der Historiker Jakub Drabik, der dieser Tage ein Buch über "Faschismus" veröffentlicht hat, mit dem er durch slowakische Schulen tourt. "Für die jungen Anhänger steht die Partei eine neue Art von Politikern, die den Mut haben, die Dinge beim Namen zu nennen, ohne sich um political correctness zu scheren", so der Politologe Radoslaw Stefancik.

So wie für Lucia, die sich nach Mazureks Rede für ein Autogramm anstellt. Die 24-jährige Frau mit blonder Lockenmähne ist mit ihrem Mann sogar eine Stunde mit dem Auto gefahren, um heute Abend die "Kotlebovci" zu sehen. "Mein Mann arbeitet in Deutschland als Elektriker, weil es hier keine gut bezahlten Jobs gibt", sagt sie zur "Wiener Zeitung". "Ich möchte einfach, dass unser Leben hier besser wird. Kotleba und seine Partei sind die einzigen, die uns verstehen."

Zudem hätte die LSNS die Zeichen der Zeit erkannt, glaubt Drabik: Statt dem Migrationsthema, mit dem Kotleba unmittelbar nach dem Höhepunkt der europäischen Flüchtlingskrise erstmals 2016 in das Parlament eingezogen ist, setzt er in diesem Wahlkampf auf soziale Themen, um im Wählerpool der linkspopulistischen Smer zu fischen, der infolge der Korruptionsskandale die Felle davon schwimmen. Die Wut auf den Mafiastaat, kombiniert mit einer Nostalgie für das kommunistische Regime und einer Enttäuschung vom liberalen Establishment: Eine "Rückkehr nach Reims" auf Slowakisch.

Sakko statt Hlinka-Orden

Wie sehr hat sich Kotleba von seiner Neonazi-Vergangenheit gelöst? Daniel Vrazda hat da so seine Zweifel. Der Journalist, der zwei Bücher über Kotleba geschrieben hat, sitzt in seinem verrauchten Büro in der Stadt Banska Bystrica, einem ehemaligen Kloster. Er wird als "persona non grata" bei LSNS geführt, von Sicherheitsmännern wird ihm regelmäßig der Zutritt zu LSNS-Pressekonferenzen verwehrt.

"Kotleba hat über all seine Jahre sein Aussehen und seine Wortwahl verändert, um nicht mehr so radikal zu wirken", sagt Vrazda. Die paramilitärische Uniform tauschte er gegen das Cord-Sakko, die Hlinka-Orden gegen das christliche Kreuz an seinem Revers. "Nach außen gibt er den ‚dobry muz‘, den Macher, der die Dinge lösen kann", sagt er. "Aber im Kern ist er noch immer derselbe geblieben."

Fahnen für die Wehrmacht

Sein wahres Gesicht zeigte er bei einer Veranstaltung, als er drei bedürftigen Familien einen Scheck über 1488 Euro überreichte - ein Nazicode, der für die Abkürzung von "Heil Hitler" steht. Die Angelegenheit hat Kotleba ein Gerichtsverfahren wegen Extremismus eingebracht. Aus seiner Geschichtsdeutung machte er indes auch als Regionalpräsident kein Hehl, als er am Jahrestag des Slowakischen Aufstandes, als sich 1944 in Banska Bystrica Widerstand gegen die Wehrmacht formierte, die schwarze Fahne auf der Regionalverwaltung hissen ließ.

Rückt die Slowakei am Samstag somit weiter nach rechts? Wenngleich alle Parteien eine Koalition mit Kotleba im Vorfeld kategorisch ausgeschlossen haben, wird die Möglichkeit einer Smer-Kotleba-Koalition vor allem von der demokratischen Opposition als Schreckensszenario an die Wand gemalt, um liberale Wähler für den Urnengang zu mobiliseren. Doch auch kritische Journalisten sehen die Möglichkeit, dass sich Smer zumindest in einer Minderheitsregierung von Kotleba stützen lassen könnte. Jetzt gehe es um alles oder nichts, schrieb die Nachrichtenwebseite Balkan Insight.