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Nächste Wahl mit Chaospotenzial in Thüringen

Von Alexander Dworzak

Politik
© imago images/Christoph Worsch

Bodo Ramelow soll heute zum Ministerpräsidenten im ostdeutschen Bundesland gewählt werden. Dafür benötigt der Linke wohl auch Stimmen von CDU-Abgeordneten - die somit aus der Bundesparteilinie ausscheren müssten.


Ausgerechnet Thüringen. Ein beschaulicher 2,2-Millionen-Freistaat im Osten versetzte vor vier Wochen ganz Deutschland in Aufregung. Denn der FDP-Politiker Thomas Kemmerich wurde völlig überraschend im Erfurter Landtag zum Ministerpräsidenten gewählt, und zwar mit den Stimmen von CDU und AfD. Dieser Tabubruch im Umgang mit der in Thüringen besonders weit rechts stehenden AfD brachte mehrere Politiker zu Fall, darunter Kemmerich. Prominentestes Opfer war CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Sie musste einsehen, dass ihre bereits zuvor geringe Autorität nicht einmal ausreicht, um einen renitenten Landesverband auf Anti-AfD-Linie zu halten.

Verstecken hinter Floskeln

Keine "Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit", so lautet die 2018 beim CDU-Bundesparteitag gegenüber den Nationalpopulisten verabschiedete Linie. Selbiges gilt jedoch auch für den Umgang mit der Linkspartei. Doch bundespolitische Beschlüsse prallen in Thüringen auf die arithmetische Realität.

Weil im Freistaat AfD und Linke die Mehrheit von 51 der 90 Landtagsabgeordneten stellen, birgt die Wahl zum neuen Ministerpräsidenten am Mittwoch wieder Chaospotenzial. Erneut stellt sich Bodo Ramelow zur Wahl. Er amtierte von 2014 bis 2020 als bisher einziger Regierungschef der Linkspartei, bis er im Februar von CDU, AfD und FDP abgewählt wurde.

Ramelows rot-rot-grünem Bündnis fehlen mit 42 Abgeordneten vier Stimmen auf die absolute Mehrheit im Landtag, die für die Wahl des Ministerpräsidenten in den ersten beiden Wahlgängen erforderlich ist. Zwar genügt im dritten die einfache Mehrheit. Nach den Erfahrungen im Februar, als sich Kemmerich erst im dritten Wahlgang aufstellte und die AfD ihren Kandidaten fallen ließ, will es die Linke jedoch nicht auf eine dritte Runde ankommen lassen. "Wenn Bodo Ramelow im ersten Wahlgang nicht gewählt ist, werden wir die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen beantragen", droht die linke Fraktionschefin Susanne Hennig-Wellsow.

Damit würde der zwischen Linker, CDU, SPD und Grünen ausgehandelte Zeitplan platzen. Die vier Parteien einigten sich Ende Februar auf vorgezogene Neuwahlen im April 2021. Bis dahin soll vor allem der neue Landeshaushalt verabschiedet werden. Von einem "Stabilitätsmechanismus" spricht Ramelow, in der Praxis würde die CDU eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung dulden. Beim Namen wird diese Regelung jedoch nicht genannt, würde sie doch dem Parteitagsbeschluss zuwiderlaufen.

Verbales Schattenboxen herrscht auch bei der Wahl um Ramelow. Die CDU-Fraktion im Landtag verkündet, dass sie den Linken "nicht aktiv als Ministerpräsidenten" wählen wird. Das muss sie auch nicht, da vier Abgeordnete genügen. Praktischerweise findet die Abstimmung in geheimer Wahl statt. Auch erklären die Parlamentarier, sie würden sich "stabilen Verhältnissen nicht verweigern" - eine eindeutige Positionierung für Ramelow. Die Vorgangsweise hätten die konservativen Abgeordneten laut Erklärung auf Twitter auch mit ihrer Noch-Vorsitzenden Kramp-Karrenbauer "besprochen".

Eine Alternative zu Höcke

Einen eigenen Kandidaten für die Ministerpräsidentenwahl will die CDU ebenso wenig aufstellen wie die FDP. Dafür tritt Thüringens rechtsextremer AfD-Chef Björn Höcke diesmal an, nachdem er im Februar einen Zählkandidaten vorschickte. Zöge sich Ramelow tatsächlich nach einem verlorenen ersten Wahlgang zurück, müssten alle Parteien abseits der AfD die Köpfe zusammenstecken. Andernfalls bliebe der Mann, der das Berliner Holocaust-Mahnmal als "Denkmal der Schande" verunglimpft hat, als einziger Kandidat übrig.