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AfD-"Flügel" auf einer Stufe mit IS und Scientology

Von Alexander Dworzak

Politik
Eine "gesichert rechtsextremistische Bestrebung" ortet der Verfassungsschutz beim "Flügel" um Björn Höcke.
© reuters/Hanschke

Der deutsche Verfassungsschutz erklärt die AfD-Gruppierung zum "Beobachtungsfall" und darf somit die nachrichtendienstliche Überwachung ausweiten. Der Bedeutung des "Flügels" in der AfD tut dies keinen Abbruch.


Mehr als ein Jahr ließ sich der deutsche Inlandsgeheimdienst, das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), Zeit für seine Analyse. Er studierte Reden von AfD-Politikern, Postings der Partei in sozialen Medien und Bücher über die deutschen Nationalpopulisten. Im Zentrum der Untersuchungen stand deren Gruppierung "Der Flügel". Dessen bekannteste Person, Björn Höcke, hatte das Berliner Holocaust-Mahnmal einst als "Denkmal der Schande" bezeichnet.

Für das BfV ist nun klar: Der "Flügel" ist "als gesichert rechtsextremistische Bestrebung einzustufen". "Die Positionen des ‚Flügel‘ sind nicht mit dem Grundgesetz vereinbar", erklärte Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang am Donnerstag. "Als Frühwarnsystem dürfen wir unser Augenmerk nicht nur auf gewaltorientierte Extremisten legen, sondern müssen auch diejenigen im Blick haben, die verbal zündeln."

"Zu politischen Zwecken missbraucht", kritisiert die AfD

Die Verfassungsschützer konstatieren einen "signifikanten Bedeutungszuwachs" Höckes, Chef der AfD in Thüringen, und von Andreas Kalbitz, der die Partei in Brandenburg anführt. Verstöße gegen die Menschenwürde durch völkische, fremden- und islamfeindliche, antisemitische, den Nationalsozialismus verharmlosende Positionen seien im "Flügel" ebenso ausgemacht worden wie gegen das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip. Auch pflegten Funktionäre und Anhänger Verbindungen "zu Protagonisten diverser rechtsextremistischer Organisationen". BfV-Präsident Haldenwang erinnerte an die Morde 2019 und heuer in Kassel, Halle und Hanau. Ihm zufolge seien Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus die derzeit größten Gefahren für die Demokratie in Deutschland.

Als Konsequenz aus diesem Befund stuft der Verfassungsschutz den seit 2019 als "Verdachtsfall" geführten "Flügel" zum "Beobachtungsfall" hoch - der obersten von drei Kategorien, wenn Organisationen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung arbeiten. Bei einem "Prüffall" darf das BfV nur auf öffentlich zugängliches Material zurückgreifen. "Verdachtsfälle" dürfen mit richterlicher Genehmigung observiert werden. Bei einem "Beobachtungsfall" sind die geheimdienstlichen Instrumentarien größer - diese werden im Detail nicht bekanntgegeben - und die Hürden gegenüber den Richtern niedriger.

Der AfD-"Flügel" befindet sich nun im rechten Spektrum auf einer Stufe mit der Partei NPD und den Reichsbürgern. Von linksextremistischen Parteien gelten dem Verfassungsschutz unter anderem die DKP und die MLPD als "Beobachtungsfall". Ebenso als "Beobachtungsfall" werden die kurdische PKK, der radikalislamische IS und die Sekte Scientology geführt.

Wenig überrascht von der Entscheidung gibt sich "Flügel"-Führungsfigur Kalbitz, sie sei "sachlich unbegründet". Auf ihrer Webseite kritisiert die AfD, dass "der Neutralität verpflichtete Behörden zu politischen Zwecken missbraucht werden, um den politischen Gegner zu schwächen". Unausgesprochen gemeint ist Bundeskanzlerin Angela Merkel. Eine Illustration zeigt einen Geheimdienstler mit Schlapphut und aufgestelltem Kragen. Dabei sind seine Hände zur Merkel-typischen Raute geformt.

Um Vorwürfe des Verfassungsschutzes zu entkräften, veröffentlichte die AfD am Mittwoch Stellungnahmen führender Vertreter, die ihre einstigen Äußerungen kommentierten. Alleine im Falle Höckes war es ein 18-seitiges Dokument, in dem er etwa zu seinem Satz: "Ich will keine multikulturelle Gesellschaft, weil multikulturelle Gesellschaft multikriminelle Gesellschaften sind", nun meint: "Ich halte mit dieser Aussage nicht Angehörige fremder Kulturen ‚ihrer Natur nach‘ für krimineller als Deutsche. Ich will mit der plakativen Formel auf die besonderen Kriminalitätsformen hinweisen, die multikulturelle Parallelgesellschaften mit sich bringen, wie zum Beispiel die Clan-Kriminalität, über die zurzeit in den Medien viel berichtet wird."

Höcke gelang erst im Februar ein Coup, als die AfD gemeinsam mit CDU und FDP den linken Ministerpräsidenten Thüringens, Bodo Ramelow, abwählte. Zwar musste der inthronisierte FDP-Kandidat Thomas Kemmerich nach bundesweiten Protesten bereits kurz nach seiner Wahl zurücktreten. Dieser Rückzug diente der AfD als Beweis, dass sie die einzig wahre Opposition zum "System" ist. So zählt auch der "Flügel" zu jenem Teil der AfD, der auf Fundamentalopposition setzt. Auf 7000 Anhänger schätzt der Verfassungsschutz die Gruppierung, das wäre ein Fünftel der AfD-Mitglieder. In den ostdeutschen Bundesländern Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen dominiert der "Flügel" - dort erreichte die AfD bei Landtagswahlen jeweils mehr als 20 Prozent.

Notorische Schwäche im Westen Deutschlands

Diese Stärke spiegelt sich in der Führung der Bundespartei immer deutlicher wider. Beim Parteitag Ende 2019 errang Kalbitz seinen Sitz im Vorstand gegen einen "Flügel"-Kritiker. Der neue Parteivize Stephan Brandner zählt ebenfalls zum Rechtsaußen-Kreis. Und der neue Co-Vorsitzende Tino Chrupalla ist zwar kein "Flügelianer", diesem aber wohlgesonnen. Einzig die schwache Verankerung im Westen Deutschlands hindert den "Flügel" daran, die AfD ganz zu übernehmen.