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Keine Mehrheit für eine Pause von der Demokratie

Politik

Ungarns Regierung will die Notstandsgesetzgebung ausdehnen - und erlitt damit eine Niederlage im Parlament, vorerst.


Offiziell heißt es "Gefahrensituation", doch einem Notstand kommt es sehr nahe. Als die ungarische Regierung diesen Zustand wegen der Coronavirus-Pandemie vor knapp zwei Wochen ausgerufen hat, erhielt das nationalkonservative Kabinett von Premierminister Viktor Orban schon mehr Handlungsfreiheit. Doch nicht die Schließung der Grenzen, von Schulen und Universitäten sowie andere Beschränkungen im öffentlichen Leben sorgten für Kritik im In- und Ausland - schließlich haben auch andere europäische Staaten ähnliche Maßnahmen ergriffen, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Unmut löst vielmehr das Vorhaben aus, die Notstandsgesetzgebung auszudehnen und damit Regieren per Dekret für viele Monate zu ermöglichen.

Damit erlitten Orban und seine Regierungspartei Fidesz am Montag eine Niederlage im Parlament. Ihr umstrittenes Notlagengesetz wurde nicht außerordentlich auf die Tagesordnung gesetzt, da die nötige Vier-Fünftel-Mehrheit verfehlt wurde. 137 Abgeordnete (rund 72 Prozent) stimmten mit Ja, 52 mit Nein.

Erfolg bei nächster Abstimmung programmiert

Das Gesetz ist damit allerdings nicht vom Tisch: Nun wird Fidesz die dringliche Behandlung des Gesetzes kommende Woche erneut auf die Tagesordnung setzen. Da hier eine Zwei-Drittel-Mehrheit ausreicht, über die die Orban-Partei verfügt, ist eine erfolgreiche Abstimmung wohl programmiert.

Mit dem Gesetz soll die Regel aufgehoben werden, dass das Abgeordnetenhaus die "Gefahrensituation" nach 15 Tagen bestätigen muss. Stattdessen könnte diese ohne Zustimmung der Mandatare verlängert werden. Das Parlament würde an Bedeutung verlieren.

Wie die Nachrichtenagentur AFP aus dem Dokument zitiert, soll die Regierung so das Recht erhalten, "die Anwendung bestimmter Gesetze per Dekret auszusetzen", feste Vorgaben nicht einzuhalten und "andere außergewöhnliche Maßnahmen einzuführen, um die Stabilität des Lebens, der Gesundheit, der persönlichen und materiellen Sicherheit der Bürger wie der Wirtschaft zu garantieren". Vorgesehen sind auch Änderungen am Strafrecht, sodass lange Haftstrafen bei Verstößen gegen die Quarantäne-Maßnahmen verhängt werden könnten. Gefängnisaufenthalt könnte auch bei der Verbreitung von Falschnachrichten drohen.

Rechtsstaat unter Beobachtung

Schon vor der Parlamentsdebatte regte sich Widerspruch. Die Opposition warf Orban vor, die Pandemie zum eigenen Machtausbau nutzen zu wollen. Die Jugendpartei Momentum sprach daher von einem "Diktator-Gesetz". Die Sozialisten kündigten mit den Worten ihres Vorsitzenden Bertalan Toth an, keinem Entwurf zuzustimmen, der Ungarn auf unbegrenzte Zeit den "Launen" des Premiers ausliefern würde. Auch die rechtsradikale Jobbik-Partei sah keinen Grund für eine "lebenslange Vollmacht" für Orban, "denn das würden wir Königreich nennen", befand Vorsitzender Peter Jakab.

Das Nein der Opposition beeindruckte die Regierungspartei Fidesz allerdings wenig. Fraktionsvorsitzender Mate Kocsis hatte klargemacht: Ein Votum könnte so verschoben, werden, etwa auf nächste Woche, dass für die Annahme eine Zwei-Drittel-Mehrheit genügt - über die Fidesz verfügt.

Die Pläne der Regierung in Budapest wurden aber auch teils international abgelehnt. In Österreich sprachen sich Abgeordnete der Grünen und der SPÖ dagegen aus. Und aus dem Europarat, der unter anderem die Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien beobachtet, kam ebenfalls eine Warnung: "Auch in einer Notlage ist es notwendig, die Verfassung zu beachten, die parlamentarische und gerichtliche Überprüfung sicherzustellen und das Recht auf Information zu bewahren", erklärte Menschenrechtskommissarin Dunja Mijatovic via Kurznachrichtendienst Twitter.

Die EU-Kommission hingegen hielt sich mit einer negativen Reaktion zurück. Ein Sprecher meinte lediglich: "Alle Notmaßnahmen sollen zeitlich befristet sein."

Dabei steht der Rechtsstaat in Ungarn bereits unter EU-Beobachtung - ebenso wie in Polen. Das nationalkonservative Kabinett in Warschau hat es jedoch bisher vermieden, den Notstand auszurufen. Vielmehr gilt ein Gesetz zur Bekämpfung von Epidemien, das der Regierung ebenfalls mehr Kompetenzen gibt. Auch Polen hat Schulen geschlossen und ruft die Menschen zum Zu-Hause-Bleiben auf. Wer sich in Quarantäne befindet, soll regelmäßig von der Polizei kontrolliert werden.

Debatte um Wahl in Polen

Allerdings gibt es ebenfalls dort Befürchtungen, etwa in Kreisen der Opposition, dass die Regierungsfraktion PiS (Recht und Gerechtigkeit) ihre Macht, die durch ihre Mehrheit im Parlament sowieso nicht unerheblich ist, weiter ausdehnt. Die größte Oppositionspartei, die Bürgerplattform (PO), plädiert schon für eine Verschiebung der Präsidentschaftswahl, deren erster Durchgang für den 10. Mai angesetzt ist. Dabei bewirbt sich der aus den PiS-Reihen stammende Amtsinhaber Andrzej Duda um sein zweites Mandat. PiS lehnt eine Verschiebung aber noch ab. (czar)